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Die neue Bundesregierung und die voraussichtlichen Folgen für die genossenschaftliche Energiewende


Ein Beitrag von Anton Mohr, politischer Referent, Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim DGRV (Ausgabe 3/2025)


Mit dem Sondervermögen hat die kommende Bundesregierung noch vor der Regierungsbildung den finanziellen Spielraum geschaffen, um die Wirtschaft in den Bereichen Infrastruktur und Klimaschutz zu unterstützen. Interessanterweise spricht auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die sogenannten Wirtschaftsweisen, in seinem Frühjahrsgutachten 2025 von der Dekarbonisierung, also der Reduzierung von Kohlenstoffdioxid-Emissionen, als eine zentrale Herausforderung für die Wirtschaft in Deutschland. Die meisten Emissionen gehen auf das Konto von Energie, also von Strom, Mobilität und Wärme. Die Energiewende ist daher weiterhin entscheidend. Doch welche Geschäftsfelder und Akteure der Energiewende werden von den gut gefüllten öffentlichen Kassen gefördert werden?

Mit dem am 9. April 2025 veröffentlichten Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD wurden bereits einige Maßnahmen aufgezeigt. Grund genug, die vielfältigen und oft nur skizzierten Vorhaben der neuen Bundesregierung mit Blick auf die Energiegenossenschaften einzuordnen.

Bezahlbarkeit und Kosteneffizienz im Fokus


Die neue Bundesregierung rückt die Frage nach der Bezahlbarkeit und Kosteneffizienz stärker in den Fokus. So sieht der Koalitionsvertrag eine dauerhafte Strompreisreduktion um fünf Cent pro Kilowattstunde für Unternehmen und den Privatverbrauch vor. Dafür soll die Stromsteuer auf das von der Europäischen Union erlaubte Mindestmaß gesenkt werden. Auch die Netzentgelte sollen dauerhaft gedeckelt werden. Die Bundesregierung sieht aber nicht nur direkte Senkungen der Verbrauchspreise über die Abgaben vor. Auch die Preise an der Strombörse sollen durch Einführung einer Vergütungsobergrenze gedeckelt werden. Höherliegende Gewinne aus dem Stromverkauf müssten demnach zurückgezahlt werden. Gleichzeitig sollen die gerade eingeführten Regelungen des Solarspitzengesetzes für die Nullvergütung bei negativen Preisen und der Direktvermarktung geprüft werden. Auch das Referenzertragsmodell zur Förderung der Windenergie soll mit Blick auf Kosteneffizienz überprüft werden.

Zur Stabilisierung des Strompreises sieht der Koalitionsvertrag den Bau von Gaskraftwerken mit einer Gesamtleistung von 20 Gigawatt bis 2030 und den Weiterbetrieb fossiler Reservekraftwerke vor. Da die Kraftwerke zunächst mit konventionellem Gas laufen werden, könnte für den klimaneutralen Betrieb auch eine Technologie zur Abscheidung und Speicherung von Emissionen genutzt werden – das sogenannte Carbon Capture and Storage (CCS). Der Koalitionsvertrag sieht daher auch die Verankerung der CCS-Technologie als überragendes öffentliches Interesse vor. Wie die Gaskraftwerke finanziert werden können, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Es könnte aber sein, dass sie nicht ohne Subventionen realisiert werden können und die zusätzlichen Kapazitäten den Preis am Strommarkt verzerren könnten.

Neue Vermarktungswege finden


Da der Stromverkauf über die Börse durch die genannten Eingriffe immer schwieriger werden könnte und auch die Einspeisevergütung zunehmend unattraktiv ist, müssen die Energiegenossenschaften neue Vermarktungswege finden. Der Koalitionsvertrag verspricht eine Stärkung der regionalen Vermarktung. Neben dem Mieterstrom wird auch das lange erwartete Energy Sharing, also das Teilen von selbsterzeugtem Strom über das öffentliche Stromnetz, ausdrücklich erwähnt. Für ein wirtschaftlich tragfähiges Energy Sharing setzt sich die Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften bereits seit Jahren ein, da es den Energiegenossenschaften erlauben würde, ihre Mitglieder mit dem Strom aus den eigenen Stromerzeugungsanlagen zu versorgen. Dies dürfte als großer Anreiz dienen – sowohl für die Ausweitung der genossenschaftlichen Investitionen als auch für den Weiterbetrieb von alten Photovoltaik-Anlagen. Leider bleibt es im Koalitionsvertrag beim Stichwort, so dass die Ausgestaltung offen ist. Eine der größten Umsetzungshürden des vergangenen Vorschlags der Politik war zum einen die Komplexität des Modell. Eine weitere große Hürde war der hohe, unvergütete Zusatzaufwand, der für die Genossenschaften durch Anmeldeverfahren, Abrechnungen, Bilanzierungen etc. anfallen würde. Die im Koalitionsvertrag formulierte Ausweitung der physikalischen Direktversorgung an die Industrie könnte die Zusammenarbeit von Energiegenossenschaften und regionalen Unternehmen stärken. Haushalte sollen sich einfacher selbst mit Energie versorgen können und die regionale Nutzung von ansonsten abgeregeltem Strom soll deutlich vereinfacht werden. Bürgerstromtarife für Anwohnerinnen und Anwohner von Windparks sollen rechtlich erleichtert werden. Diese könnten neue Versorgungs- und Beteiligungsmodelle für Energiegenossenschaften ermöglichen.

Auch die technischen Voraussetzungen für die Entwicklung einer regionalen Vermarktung sollen gefördert werden: Die Überbauungsmöglichkeiten an Netzverknüpfungspunkten sowie der beschleunigte Rollout von Smart Metern werden im Koalitionsvertrag erwähnt. Energiespeicher sollen ebenfalls als überragendes öffentliches Interesse mit aufgenommen und im Zusammenhang mit Wind- und Solarstromanlagen privilegiert werden. Besonders für den Betrieb von Solarstromanlagen sind Stromspeicher inzwischen unverzichtbar, weshalb der Bau und der Betrieb vereinfacht werden sollen. Die Mehrfachbelastungen durch Steuern, Abgaben und Entgelte sollen weitestgehend abgeschafft werden. Allerdings soll die Förderung an eine Systemdienlichkeit geknüpft werden. Und diese Forderung nach Systemdienlichkeit könnte eine Herausforderung für den gleichzeitig gewollten schnellen Ausbau regenerativer Erzeugungsanlagen werden.

Zwischen beschleunigtem Ausbau und Systemdienlichkeit


Um neue Projekte schneller voranzubringen, sollen bürokratische Hürden abgebaut und Planungs- sowie Genehmigungsverfahren vereinfacht werden. Laut Koalitionsvertrag soll dabei auch geprüft werden, ob Expertenpools eingerichtet sowie die Vereinfachungen aus Wind-Beschleunigungsgebieten auf andere Energieinfrastrukturvorhaben übertragen werden können. Die Flächenziele für den Windausbau gemäß Windflächenbedarfsgesetz für 2027 sollen erhalten bleiben. Die Ziele für 2032 sollen jedoch evaluiert werden. Entlastung dürfte dafür eine geplante Begrenzung der Flächenpachten bieten. Anmeldeverfahren sollen durch Digitalisierung und Standardisierung erleichtert werden, insbesondere für Solarstromanlagen mit Doppelnutzung, wie Agri- und Parkplatz-Photovoltaik.

Agri-PV-Anlage Agri-PV-Anlage des Energiepark Sonnenfeld

Agri-PV-Anlage im Energiepark Sonnenfeld Bruck/Leith

Ein zentrales Vorhaben des Koalitionsvertrags ist die bereits erwähnte systemdienliche Ausgestaltung der Förderung von Solarstromanlagenanlagen mit Speichern. Die Ziele sind eine bessere Abstimmung und Kostenersparnisse. Der Fokus auf Systemdienlichkeit birgt jedoch auch das Risiko einer Verlangsamung des Photovoltaik-Ausbaus im Aufdach-Segment. Die Systemdienlichkeit soll auch beim Ausbau von Windenergie und Photovoltaik-Freiflächenanlagen wichtiger werden. Der Ausbau erneuerbarer Energien soll künftig stärker mit dem Netzausbau verzahnt werden. Neue Projekte sollen dort angesiedelt werden, wo sie dem Netz am meisten nutzen. Dieser Ansatz birgt jedoch auch ein Risiko: Wenn der Netzausbau weiterhin nur langsam vorankommt, könnten neue Wind- und Solarstrom-Projekte auch von Energiegenossenschaften in Frage gestellt werden.

Flexibler Verbrauch und Sektorenkopplung


Doch nicht nur die Erzeugungsanlagen sollen systemdienlicher werden. Auch der Verbrauch soll sich am Stromnetz orientieren. So sollen insbesondere große Abnehmer netzdienlich eingebunden werden. Erzeugung und Verbrauch sollen flexibel auf die Situation in den Stromnetzen reagieren können. Neben gewerblichen und industriellen Verbrauchenden könnten dies auch Großwärmepumpen oder Elektroautos sein. Das Laden von Elektroautos am Arbeitsplätz soll unterstützt und Heimspeicher verstärkt als flexible Verbraucher genutzt werden. Auch die Erzeugung von Wasserstoff soll für einen flexiblen Verbrauch in Zeiten eines großen Stromangebots zur Verfügung stehen. Der Koalitionsvertrag sieht eine Förderung großer und auch dezentraler Elektrolyseure vor – inklusive gezielter Programme für den Mittelstand.

Die Speicher sollen jedoch nicht nur als Verbraucher eine Rolle spielen, sondern auch einspringen, wenn das Angebot an Wind- und Solarstrom nicht die Nachfrage decken kann. So sollen die Batterien von Elektroautos nicht nur flexibel geladen werden, sondern auch bei einem fehlenden Angebot den Strom wieder einspeisen können. Dieses bidirektionale Laden von Elektroautos soll nach dem Koalitionsvertrag gefördert werden. Damit könnte die neue Bundesregierung auch die Kopplung der einzelnen Sektoren beschleunigen. Denn Strom wird im Mobilitäts- und im Wärmesektor eine wichtige Rolle spielen. Wärmenetze könnten etwa zunehmend große Wärmepumpen, die an einen örtlichen Windpark angeschlossen sind, als Wärmequelle nutzen. Und der Koalitionsvertrag bekennt sich auch wieder zu Biogasanlagen, die Strom in Zeiten von Dunkelflauten erzeugen können, und die gleichzeitig genossenschaftliche Wärmenetze versorgen.

PV-Anlage der Solarwärme Bracht eG

Solarthermie-Anlage der Solarwärme Bracht eG

Genossenschaftliche Wärmenetze


Im Wärmebereich sendet der Koalitionsvertrag wichtige Signale hinsichtlich Förderung, Investitionssicherheit und Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung. Für genossenschaftliche Wärmenetze, die Bioenergie als Wärmequelle nutzen, ist der Koalitionsvertrag ein wichtiges Signal zur Zukunftsfähigkeit dieser Wärmequelle. Der Fokus soll auf der Steigerung des Flexibilitätspotenzials und des Erhalts kleiner, wärmegeführter Biogasanlagen liegen. Außerdem sollen bestehende Deckel überprüft und Reststoffe besser genutzt werden. Bei der kommunalen Wärmeplanung soll von Beginn an die Umsetzbarkeit berücksichtigt werden und es wird ein attraktiver Investitionsrahmen in Aussicht gestellt. Zusammen mit dem Vorhaben, einen Investitionsfonds für die Energieinfrastruktur aufzulegen, um die Vergabe von Eigen- und Fremdkapital bei Investitionen anzureizen und dies mit öffentlichen Garantien zu flankieren, zeichnen sich für genossenschaftliche Wärmenetze interessante Finanzierungsbedingungen ab. Die Geothermie soll durch ein eigenes Beschleunigungsgesetz und die vollständige Absicherung des Fündigkeitsrisikos neuen Auftrieb erhalten.

Ebenso ist die geplante Aufstockung und gesetzliche Verankerung der Bundesförderung effiziente Wärmenetze aus Sicht der Wärmegenossenschaften sehr erfreulich, da sie langfristige Planungssicherheit schaffen würde. Damit wäre eine wichtige Forderung der Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften erfüllt. Zur positiven Tendenz beim Förderrahmen gehört auch das Bekenntnis zur Gebäudeförderung, über die auch der hausseitige Anschluss an ein Wärmenetz gefördert wird. Auch die angekündigte Modernisierung der AVB-Fernwärme-Verordnung kann Chancen für genossenschaftliche Wärmeakteure bieten, wenn ihre Besonderheiten bei der Ausgestaltung berücksichtigt werden. Wärmegenossenschaften haben aufgrund ihrer inhärenten Transparenz auch nichts von der angekündigten Preisaufsicht zu befürchten, die für mehr Preistransparenz im Fernwärmesektor sorgen soll.

Ob sich aus dem Vorhaben, den Quartiersansatz zu stärken, weitere positive Signale für Wärmegenossenschaften ergeben, bleibt abzuwarten. Die gilt ebenso für die Frage, was die geplante vereinfachte Verzahnung von Gebäude-Energie-Gesetz und kommunaler Wärmeplanung genau bedeutet soll und wie sie sich auswirken könnte.

Fazit


Mit der Betonung von Kosteneffizienz, Systemdienlichkeit und Sektorenkopplung hat die neue Bundesregierung notwendige Ziele für die Dekarbonisierung formuliert. Allerdings stehen die Vorhaben im Spannungsfeld mit anderen Zielen, wie dem schnellen Ausbau von Wind- und Solarstromprojekten oder Preissignale für die flexible Nutzung. Auch konkurrieren die Fördergelder für die Dekarbonisierung mit anderen Bereichen, wie der Förderung von Infrastruktur oder Sicherheit. So ist derzeit schwer abzuschätzen, wie der Förderrahmen für kleinere und mittlere Stromanlagen aussehen wird und ob die neuen Vermarktungswege praxistauglich sind. Auch die nach Koalitionsvertrag geplante Modernisierung des Genossenschaftsgesetzes wird Auswirkungen auf die Energiegenossenschaften haben. Ein aus unserer Sicht wichtiger Punkt hierbei ist, dass die mittelbare Förderung in § 1 Abs. 1 Genossenschaftsgesetz ergänzt werden sollte, insbesondere um mehr Rechtssicherheit für bestimmte Energiegenossenschaftsmodelle zu schaffen. Die Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften wird die Umsetzung der vielen Vorhaben der neuen Bundesregierung im Interesse unserer fast 1.000 Energiegenossenschaften begleiten.

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