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Kulturerbe der Menschheit


Ein Beitrag der PerspektivePraxis-Redaktion.


Das internationale UNESCO-Komitee hatte der Bewerbung aus Deutschland Ende November vergangenen Jahres zugestimmt. Die „Idee und Praxis der Organisation von gemeinsamen Interessen in Genossenschaften“ war die erste Nominierung zur Repräsentativen Liste, die aus Deutschland eingereicht wurde. Den Antrag hatten die Deutsche Hermann-Schulze-Delitzsch-Gesellschaft und die Deutsche Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft gemeinsam auf den Weg gebracht. „Die Anerkennung der genossenschaftlichen Idee als UNESCO-Welterbe ist vor allem auch eine Würdigung all derer, die sich in Genossenschaften engagieren. Es ist eine Würdigung der vielen genossenschaftlichen Initiativen weltweit“, sagt Werner Böhnke, stellvertretender Vorsitzender des DZ BANK-Aufsichtsrats und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft.

Größere Aufmerksamkeit


Die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit soll die Vielfalt an kulturellen Ausdrucksformen und menschlicher Kreativität aus allen Weltregionen zur Geltung bringen. Mit der Aufnahme der Genossenschaftsidee versprechen sich die Initiatoren eine größere Aufmerksamkeit in der Bevölkerung. Vor allem die internationale Bedeutung des Genossenschaftswesens soll stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt werden. „Die Genossenschaftsidee ist weltweit bewährt und hat eine ungebrochene Kraft. Ein sichtbarer Beweis sind die über 900.000 Genossenschaften in mehr als 100 Ländern. Mit über 800 Millionen Genossenschaftlern welt-weit haben wir mehr Mitglieder als die FIFA“, ergänzt Dr. Axel Viehweger, Vorstand beim Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften und Vor-sitzender der Deutschen Hermann-Schulze-Delitzsch-Gesellschaft. Trotz der großen Zahlen geht es den Gründerväter-Vereinen um den Schutz einer gesellschaftlichen Idee, die heute in vielen Bereichen auf dem Rückzug ist. Kopfzerbrechen bereitet vor allem der geringe Bekanntheitsgrad bei den jüngeren Generationen. In den meisten Bildungseinrichtungen wird kaum Wissen über die Genossenschaft vermittelt. „Das wollen wir ändern. Die Genossenschaft muss stärker in der schulischen und universitären Ausbildung verankert werden. Und der Kulturerbe-Titel wird uns auf Länderebene so manche Tür in der Politik und den Behörden öffnen“, meint Viehweger. „Der genossenschaftliche Gedanke und die ihm innewohnenden Werte sind ja durchaus gegenwärtig“, ergänzt Böhnke. „Interessant ist zum Beispiel, wie sich Wertvorstellungen bei jungen Menschen verändern. So verzichten heute viele junge Leute auf ein eigenes Fahrzeug und bevorzugen Carsharing. Bisweilen fehlt jedoch das Bewusstsein darüber, dass die genossenschaftliche Kooperation auch in vielen anderen Lebensbereichen nützlich sein kann.“

Immaterielles Kulturerbe


Der Titel „Immaterielles Kulturerbe“ ist noch relativ neu. Die UNESCO hatte das Abkommen zum Schutz des traditionellen Wissens und Könnens erst im Jahr 2003 verabschiedet. Die völkerrechtlich verbindliche Konvention trat 2006 in Kraft. Zu den über 150 Vertragsstaaten gehört seit 2013 auch die Bundesrepublik Deutschland. Seither werden in einem nationalen Verzeichnis die kulturellen Traditionen registriert. Zu den Ausdrucksformen der „leben-digen Traditionen“ gehören etwa Tanz, Theater, Musik oder Bräuche, Feste und Handwerkskünste. Es geht aber auch um Formen des Miteinanders, wie etwa das Vereinswesen in der Schweiz oder die in Österreich bekannte Selbsthilfeorganisation für gegenseitige Brandhilfe. Dementsprechend wurde auch die Genossenschaftsidee in die Kategorie der „Gesellschaftlichen Bräuche, Rituale und Feste“ eingeordnet. Für die Begleitung des gesamten Verfahrens brauchen die Initiatoren einen langen Atem. Bereits Ende 2013 wurde parallel über die Bundesländer Sachsen und Rheinland-Pfalz ein Antrag eingereicht, der nach der nationalen Anerkennung im Dezember 2014 schließlich im März 2015 zur internationalen Bewerbung ausgewählt wurde. Eine unabhängige Kommission begründete die Empfehlung damit, dass sich Genossenschaften auch an sozialen Werten orientieren und auf ideellen Grundsätzen wie Solidarität, Ehrlichkeit, Verantwortung und Demokratie auf-bauen würden. Das seien Prinzipien des kulturellen Selbstverständnisses menschlicher Gemeinschaften. Neben genossenschaftlichen Verbänden und Organisationen haben sich viele namhafte Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft für die Bewerbung eingesetzt, wie etwa Rita Süssmuth als Schirmherrin der Kampagne. Spannender als zunächst gedacht verlief schließlich die finale Sitzung des UNESCO-Komitees in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Denn die deutsche Bewerbung wurde bei einer Vorabprüfung durch eine inter-nationale Expertenjury zunächst zurück-verwiesen. Nicht zuletzt aufgrund des persönlichen Einsatzes des deutschen Botschafters bei der UNESCO, der Mitarbeiter des deutschen UNESCO-Büros, Vertreter des Auswärtigen Amts und der Gründerväter-Gesellschaften vor Ort hat sich das Entscheidungskomitee doch für die Annahme des deutschen Antrags entschieden. Trotz der Nominierung aus Deutschland betonen die Initiatoren, dass die genossenschaftliche Idee keine rein deutsche Erfindung sei. Und es gehe auch nicht darum, eine spezifisch deutsche Ausprägung als Vorlage für andere Länder zu postulieren. Vielmehr sei die genossenschaftliche Idee universell und könne in anderen Ländern ganz unter-schiedlich gelebt werden. Mit der UNESCO-Auszeichnung ist für die beiden Gesellschaften und genossenschaftlichen Museen auch eine Verpflichtung verbunden. Denn die damit verbundenen Chancen müssen auch genutzt werden. „Wir werden mit dem Welterbe-Titel jetzt noch intensiver für das Schulze-Delitzsch-Museum und auch den Tourismus in der Stadt Delitzsch werben“, verspricht Viehweger. Böhnke hat den Blick schon auf das kommende Jahr gerichtet, denn am 30. März 2018 wäre Friedrich Wilhelm Raiffeisen 200 Jahre alt geworden. „Der Beschluss der UNESCO ist für uns eine wunderbare Hinführung auf das Jubiläumsjahr. Unserer geplanten Kampagne, Raiffeisen und seine Ideen einer breiten Öffentlichkeit in Deutschland stärker ins Bewusstsein zu rücken, wird das viel Auftrieb verleihen.“

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