Welche Auswirkungen haben die Vorhaben im Koalitionsvertrag auf die Energiegenossenschaften?
Am 9. April 2025 einigten sich SPD und CDU/CSU auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag. Darin bekennen sie sich klar zur Energiewende, Klimaneutralität und zur Schaffung verlässlicher Investitionsbedingungen. Die Umsetzung der Energiewende soll dabei transparent, planbar und pragmatisch erfolgen. Der Koalitionsvertrag enthält einige positive aber auch einige negative Vorhaben für die Energiewende und Energiegenossenschaften. Ferner sind viele Stellen interpretationsfähig. Eine abschließende Einschätzung der Folgen ist noch nicht möglich. Die Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften wird in den nächsten vier Jahren daran arbeiten, dass die interpretationsfähigen Vorhaben ebenfalls im Sinne der Energiegenossenschaften umgesetzt werden.
Energiepolitik
Gleich zu Beginn des Energie-Kapitels wird die Bedeutung von gesellschaftlicher Akzeptanz und Teilhabe betont. Mieterstrom, Bürgerenergie und das lange erwartete Energy Sharing werden ausdrücklich erwähnt und können als positives Signal an die Energiegenossenschaften gedeutet werden. Vor allem diese Themen wird die Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften im Interesse der Energiegenossenschaften entscheidend politisch und gesetzgeberisch in der neuen Legislatur vorantreiben.
Um neue Projekte schneller voranzubringen, sollen bürokratische Hürden abgebaut und Planungs- sowie Genehmigungsverfahren vereinfacht werden. die Erneuerbare-Energien-Richtlinie III zügig umgesetzt werden. Dabei wird auch geprüft, ob Expertenpools eingerichtet, die Zustimmungsfiktion ausgeweitet sowie die Vereinfachungen aus Wind-Beschleunigungsgebieten auf andere Energieinfrastruktur-Vorhaben übertragen werden können.
Gleichzeitig rückt der Koalitionsvertrag die Frage nach der Bezahlbarkeit und Kosteneffizienz stärker in den Fokus. Zentral wird dafür auch zukünftig ein gesicherter Investitionsrahmen bleiben, der jedoch stärker auf marktwirtschaftliche Instrumente setzt. Mittelfristig soll der Ausbau erneuerbarer Energien (EE) vollständig über den Markt refinanziert werden. Ein erster Schritt ist die geplante Einführung einer Vergütungsobergrenze. Höherliegende Gewinne aus dem Stromverkauf müssten demnach zurückgezahlt werden. Dieser sogenannte Claw-Back wird von der EU vorgegeben. Langfristig aber noch in dieser Legislatur ist eine umfangreiche Überarbeitung der Fördersystematik zu erwarten, die sich an den neuen Regelungen orientiert. Für die Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften ist die Umstellung des EE-Förderrahmens das wichtigste Vorhaben in dieser Legislatur. Wir begleiten den Prozess bereits eng und werden weiterhin intensiv daran mitarbeiten, dass Energiegenossenschaften auch zukünftig EE-Projekte realisieren können. Ebenfalls werden wir sie über mögliche Änderungen frühzeitig informieren.
Der Netzausbau soll künftig stärker mit dem Ausbau erneuerbarer Energien verzahnt werden. Das Ziel ist eine bessere Abstimmung und Kostenersparnisse, doch birgt dieser Ansatz auch Risiken: Wenn der Netzausbau weiterhin nur langsam vorankommt, könnten neue EE-Projekte in Frage gestellt werden. Die Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften wird sich zusammen mit den dazu einbringen, dass ein stockender Netzausbau politisch nicht dazu genutzt wird, den EE-Ausbau auszubremsen.
Positiv schätzen wir die erneute Bestätigung der Überbauungsmöglichkeiten am Netzverknüpfungspunkt sowie den beschleunigten Rollout von Smart Metern ein. Für Energiegenossenschaften unternehmerisch interessant ist zudem die geplante Ausweitung der physikalischen Direktversorgung an die Industrie. Dies könnte die Zusammenarbeit mit regionalen Unternehmen stärken.
Ein zentrales Vorhaben stellt die systemdienliche Ausgestaltung der Förderung von Photovoltaik-Anlagen (PV-Anlagen) mit Speichern dar. Der Fokus auf „Systemdienlichkeit“ birgt jedoch auch das Risiko einer Verlangsamung des PV-Ausbaus im Aufdach-Segment. Positiv zu bewerten sind die angekündigten Vereinfachungen bei Anmeldeverfahren durch Digitalisierung und Standardisierung sowie die Ankündigung, die Doppelnutzung, etwa bei Agri- und Parkplatz-PV zu erleichtern. Private Haushalte sollen sich einfacher selbst mit Energie versorgen können. Die gerade eingeführten Regelungen des Solarspitzengesetzes für die Nullvergütung bei negativen Preisen und der Direktvermarktung sollen geprüft werden.
Im Bereich Windenergie sind für Energiegenossenschaften insbesondere die rechtlichen Erleichterungen für Bürgerstromtarife für Anwohnerinnen und Anwohner von Windparks zu erwähnen. Diese könnten neue Versorgungs- und Beteiligungsmodelle von Energiegenossenschaften ermöglichen. Entlastung dürfte darüber hinaus eine geplante Begrenzung der Flächenpachten bieten.
Die ausweisenden Flächenziele für den Windausbau gemäß Windflächenbedarfsgesetz für 2027 bleiben erhalten. Die Ziele für 2032 sollen jedoch evaluiert werden. Das Referenzertragsmodell zur Förderung der Windenergie soll mit Blick auf Kosteneffizienz überprüft werden.
Zur Bioenergie gibt es ein klares Bekenntnis. Sie soll insbesondere in den Bereichen Wärme, Verkehr und steuerbare Stromerzeugung eine wichtige Rolle spielen, wobei der Fokus auf der Steigerung des Flexibilitätspotenzials und des Erhalts kleiner, wärmegeführter Biogasanlagen liegen soll. Für genossenschaftliche Wärmenetze, die Bioenergie als Wärmequelle nutzen, ist der Koalitionsvertrag ein wichtiges Signal zur Zukunftsfähigkeit dieser Wärmequelle. Außerdem sollen bestehende Deckel überprüft und Reststoffe besser genutzt werden.
Neben Wind und Solar sollen auch die anderen erneuerbaren Erzeugungsformen stärker gefördert werden. So sollen Potenziale von Klein- und Großwasserkraft besser genutzt werden. Die Geothermie soll durch ein eigenes Beschleunigungsgesetz und die vollständige Absicherung des Fündigkeitsrisikos neuen Auftrieb erhalten. Beim Thema Wasserstoff sollen sowohl große als auch dezentrale Elektrolyseure gefördert werden – inklusive gezielter Programme für den Mittelstand. Das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz soll noch im Jahr 2025 an neue Herausforderungen angepasst werden.
Um die Nutzung von EE flexibler und sektorübergreifend zu gestalten, müssen zahlreiche Hindernisse bei der Flexibilisierung des Stromsystems beseitigt werden. Die stärkere Flexibilisierung wird mit zunehmendem EE-Ausbau immer wichtiger für eine stabile Stromversorgung. Der Ausbau von Speichern, die für das System dienlich sind, sowie die verstärkte systemdienliche Nutzung von E-Auto- und Heimspeichern sollen vorangetrieben werden. Bidirektionales Laden und das Laden am Arbeitsplatz sollen unterstützt werden. Große Abnehmer, wie Speicher und EE-Erzeuger, sollen dort angesiedelt werden, wo sie dem Netz am meisten nutzen. Energiespeicher sollen ebenfalls mit ins überragende öffentliche Interesse aufgenommen und im Zusammenhang mit privilegierten EE-Erzeugungsanlagen privilegiert werden. Die Mehrfachbelastung durch Steuern, Abgaben und Entgelte soll weitestgehend abgeschafft werden. Besonders für Energiegenossenschaften im PV-Bereich werden Stromspeicher zunehmend relevant werden. Die regionale Nutzung von ansonsten abgeregeltem Strom soll deutlich vereinfacht werden.
Im Wärmebereich sendet der Koalitionsvertrag wichtige Signale hinsichtlich Förderung, Investitionssicherheit und Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung. Um Trägern von Infrastrukturen wie z.B. von Wärmenetzen Investitionen zu ermöglich, wird ein stärkerer Mix aus öffentlichem und privatem Kapital angekündigt. Zusammen mit dem Vorhaben, einen Investitionsfonds für die Energieinfrastruktur aufzulegen, um die Vergabe von Eigen- und Fremdkapital bei Investitionen anzureizen und dies mit öffentlichen Garantien zu flankieren, zeichnen sich für genossenschaftliche Wärmenetze interessante Finanzierungsbedingungen ab.
Ebenso ist die geplante Aufstockung und gesetzliche Verankerung der Bundesförderung effiziente Wärmenetze aus Sicht der Wärmegenossenschaften sehr erfreulich, da sie langfristige Planungssicherheit schaffen würde. Damit wäre eine wichtige Forderung der Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften erfüllt. Zur positiven Tendenz beim Förderrahmen gehört auch das Bekenntnis zur Gebäudeförderung, über die auch der hausseitige Anschluss an ein Wärmenetz gefördert wird.
Auch die angekündigte Modernisierung der AVB-Fernwärme-Verordnung kann Chancen für genossenschaftliche Wärmeakteure bieten, wenn ihre Besonderheiten bei der Ausgestaltung berücksichtigt werden. Wärmegenossenschaften haben aufgrund ihrer inhärenten Transparenz auch nichts von der angekündigten Preisaufsicht zu befürchten, die für mehr Preistransparenz im Fernwärmesektor sorgen soll.
Ob sich aus dem Vorhaben, den Quartiersansatz zu stärken, weitere positive Signale für Wärmegenossenschaften ergeben, bleibt abzuwarten. Ebenso die Frage, was die geplante vereinfachte Verzahnung von GEG und kommunaler Wärmeplanung genau bedeutet soll und wie sie sich auswirken könnte. Das grundsätzliche Bekenntnis zur kommunalen Wärmeplanung bewerten wir als positiv. Insbesondere die Aussagen, dass bei der kommunalen Wärmeplanung von Beginn an die Umsetzbarkeit berücksichtigt werden muss und Kommunen und Energieversorger Planungssicherheit und einen attraktiven Investitionsrahmen brauchen, sind weitere wichtige Signale.
Ein zentrales Thema bleibt die Strompreisgestaltung. Die Koalition will eine dauerhafte Strompreis-Reduktion um 5 Cent pro Kilowattstunde für Unternehmen und Verbraucher einführen. Als erste Sofortmaßnahme ist dafür die Senkung der Stromsteuer auf das EU-Mindestmaß geplant. Auch die Netzentgelte sollen dauerhaft gedeckelt werden. Darüber hinaus sieht die Kraftwerksstrategie den Bau von 20 GW Gaskraftwerken bis 2030 und den Einsatz von (fossilen) Reservekraftwerken zur „Stabilisierung des Strompreises” vor. Dieser Eingriff in den Markt dürfte Preisverzerrungen mit sich bringen, zu höheren Subventionen für fossile Technologien führen, EE-Geschäftsmodelle unwirtschaftlicher werden lassen und den Ausbau von Speichern erschweren und trifft daher auf große Kritik aus der Erneuerbaren-Branche und der Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften. Ebenfalls kritisch zu bewerten ist die hohe Bedeutung für die CCS (CO2-Abschneidungs- und Speicherungstechnologien) /CCU (CO2-Abschneidungs- und Nutzungstechnologien) -Technologie, die im überragenden öffentlichen Interesse verankert werden soll.
Der Koalitionsvertrag enthält viele positive, aber auch kritische Vorhaben sowie viele offene Themen, die in den nächsten vier Jahren von der Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften intensiv politisch und fachlich im Interesse unserer fast 1.000 Energiegenossenschaften begleitet werden.
Den vollständigen Koalitionsvertrag finden Sie hier.
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