Ein Beitrag von Anton Mohr, Projektreferent bei Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim DGRV
Je nach Perspektive ist das Glas für die Energiegenossenschaften halb leer oder halb voll. Das legt die Jahresumfrage unter den 951 im DGRV organisierten Energiegenossenschaften nahe, die wie jedes Jahr, auch 2024 von der Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften durchgeführt wurde. Die einen blicken mit Zuversicht in das neue Geschäftsjahr, während ein anderer Teil die derzeitigen Rahmenbedingungen kritisch beäugt und sich mit neuen Projektplänen erst einmal zurückhält. Im Folgenden sollen die Gründe und Hintergründe genauer beleuchtet werden, um die Zahlen besser zu verstehen.
Mit der Zahl von 88 Gründungen (bis zum Stichtag am 31. Dezember 2023) erblickten im letzten Jahr so viele Energiegenossenschaften wie seit 10 Jahren nicht mehr das Licht der Welt. Ein Grund ist sicherlich die bereits im letzten Jahr bemerkbare, positive Stimmung, die sich in den geplanten neuen Projekten widerspiegelte. 2023 gaben noch 74 Prozent der Energiegenossenschaften an, dass sie im kommenden Jahr neue Projekte planen würden. Sowohl durch ihre ambitionierten Ziele beim Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung als auch durch die Reformpläne hat die Ampelkoalition eine große Erwartungshaltung geweckt. Es sollten zahlreiche Hindernisse bei der Planung und Umsetzung neuer Projekte im Rahmen einer Photovoltaik- und einer Windenergiestrategie abgebaut werden bei denen auch die Energiegenossenschaften unterstützt werden sollten. Diese sollten Ausnahmen bei Ausschreibungen sowie das Förderprogramm für „Bürgerenergiegesellschaften“ bei Windprojekten beinhalten.
Mehr als ein Jahr später sieht die Situation ein wenig anders aus: Statt zwei Solarpaketen kam nur eines und das Gesetz zur Bürgerbeteiligung droht auf der Bundesebene hinter die Regelungen in einzelnen Bundesländern zurückzufallen. Auch das Energy Sharing wurde in keinem bisher vorliegenden Gesetzesvorhaben berücksichtigt. Staatssekretär Dr. Philipp Nimmermann betonte beim Bundeskongress genossenschaftliche Energiewende 2024 dann auch mehr die Bedeutung der Energiegenossenschaften bei der Wärmewende. Die wachsende Bedeutung der genossenschaftliche Wärmenetze findet, sich auch in den Zahlen wieder. Und mit dem 2023 beschlossenen Gesetz für die Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze könnte die Wärmewende in Deutschland deutlich an Fahrt aufnehmen.
Von den bestehenden Energiegenossenschaften sind im Wärmesektor bisher nur 28 Prozent aktiv, doch der Schwerpunkt der Gründungen verschiebt sich. In diesem Jahr liegt der Anteil der gegründeten Energiegenossenschaften, die insbesondere ein Wärmenetz realisieren und betreiben wollen, bei etwa der Hälfte. Allein im dritten Quartal 2023 kamen 28 neue Energiegenossenschaften überwiegend in der Wärmeversorgung hinzu. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2022 wurden insgesamt 36 Energiegenossenschaften gegründet. Das Interesse ist also groß und genossenschaftliche Wärmenetze können ein wichtiger Baustein für die Wärmewende sein. Die rund 250 Wärmegenossenschaften unter dem Dach des DGRV versorgen ihre Mitglieder mit regionaler und sauberer Wärme.
Doch leider muss hier ein wenig Wasser in den Wein geschüttet werden. Wenn das große Potenzial von Genossenschaften für die Wärmewende weiter nutzbar gemacht werden soll, dann braucht es die richtigen Rahmenbedingungen und auch Planungssicherheit. Der finanzielle und organisatorische Vorteil von Wärmegenossenschaften liegt in ihrer Nutzungsorientierung und der ehrenamtlichen Betriebsführung. Darin liegt zugleich aber auch ihr struktureller Nachteil. Daher ist es wichtig, dass die Finanzierung von genossenschaftlichen Wärmenetzen erleichtert und gefördert wird, dass die bürokratischen Anforderungen möglichst schlank gehalten werden, und dass bei der Wärmeplanung Genossenschaften beteiligt oder initiiert werden.
Während es also im Wärmesektor eine positive Stimmung gibt, kann diese im Stromsektor eher als eingetrübt bezeichnet werden. Nur noch 62 Prozent der Energiegenossenschaften planen 2024 neue Projekte. Insbesondere die im Erneuerbare-Energien-Gesetz vorgenommenen Neuregelungen für Bürgerenergieprojekte, wie etwa die an die Definition von Bürgerenergiegesellschaften geknüpfte Förderung bei Wind- und Solarstromanlagen, geht an der unternehmerischen Realität vieler Energiegenossenschaften vorbei. Die neu eingeführte Definition der Bürgerenergiegesellschaften wird von den Energiegenossenschaften für die eigenen Projekte nicht genutzt. Einerseits hängt dies mit der starren Ausgestaltung der Definition zusammen, wonach sich mindestens 50 natürliche Personen, jedoch kein lokales Großunternehmen zusammenfinden müssen. Andererseits halten sich die Vorteile aus der Erfüllung der Definition stark in Grenzen. So waren die Vergütungssätze bis vor kurzem veraltet und Genossenschaften bleiben nach der Umsetzung eines Projekts außerhalb der Ausschreibung für drei Jahre von weiteren Projekten desselben Segments ausgeschlossen. Darüber hinaus sieht das vom Kabinett beschlossene Wachstumspaket weitere Einschnitte für die Energiegenossenschaften vor. Die Direktvermarktungspflicht wird auf 25 Kilowatt (kW) abgesenkt und in Zeiten negativer Strompreise erhält der eingespeiste Strom keine Vergütung mehr.
Anstelle des angekündigten Bürokratieabbaus entstehen so neue Hürde. Denn schon jetzt ist es sogar für mittelgroße Anlagen schwierig, eine Direktvermarktung zu finden. Für Direktvermarkter sind kleine Anlagen mit der entsprechend geringen Stromerzeugung unwirtschaftlich, da der Strom entsprechend nur für das Zwei- bis Dreifache des Dienstleistungsentgelts angeboten werden kann. Der Wegfall der EEG-Vergütung bei negativen Strompreisen wird sich auf die Finanzierungskosten für Stromprojekte auswirken. Da im Vorfeld eines Projektvorhabens nicht absehbar ist, wie häufig es zu negativen Strompreisen kommen wird, verhindert die Regelung langfristige Planungssicherheit und erhöht das Risiko deutlich. Die wachsende Unsicherheit wird auch die Zinsen für die aufgenommenen Darlehen steigen lassen. Umso wichtiger ist es, dass nun noch einmal positive Impulse gegeben werden.
Die 220.000 Mitglieder der 951 Energiegenossenschaften haben rund 3,6 Mrd. Euro in erneuerbare Energien investiert und 2023 ungefähr acht Terawattstunden sauberen Strom erzeugt. Damit wurden etwa 3 Mio. Tonnen CO ₂ -Äquivalente im Strombereich vermieden. Die Investitionen sind damit gegenüber dem Vorjahr angestiegen, doch die Stromerzeugung aus genossenschaftlichen Anlagen entwickelt sich kaum. Ein Zeichen dafür, dass es einigen Energiegenossenschaften immer schwerer fällt, größere Projekte im Strombereich zu stemmen. Auch wenn es sinnvoll ist, dass in Zeiten eines übermäßigen Angebots und fehlender Nachfrage die Preise sinken, fehlt es an Anreizen, den Verbrauch in diesen Zeiten zu erhöhen. Energiegenossenschaften möchten mit ihren Solarstromanlagen ihre Mitglieder versorgen. Das „Energy Sharing“ könnte einen solchen Anreiz bieten.
Der Begriff „Energy Sharing“ bedeutet, dass die Mitglieder einer Energiegemeinschaft Strom aus ihrer gemeinschaftlichen Anlage gleichzeitig produzieren und verbrauchen. Doch sobald das öffentliche Stromnetz genutzt wird, ist die Stromversorgung aus den eigenen Anlagen für die Mitglieder nicht mehr kostengünstig, da Netzentgelte, Steuern und sonstige Abgaben anfallen. Auch die Rechte und Pflichten eines Stromversorgers müssen eingehalten werden. Aus unternehmerischer Sicht ist in diesem Fall die direkte und lokale Mitgliederversorgung wirtschaftlich nicht darstellbar. Daher braucht es ein Anreizsystem, welches einen regionalen Strommarkt fördert.
Das differenzierte Bild der Umfrage macht deutlich, dass sich das Marktumfeld und das Geschäftsmodell für Energiegenossenschaften komplexer gestalten als in den vergangenen Jahren. Dabei können Energiegenossenschaften insbesondere regional Strukturen bieten, die nicht nur den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben, sondern diese auch in ein umfassendes Versorgungssystem bringen können. Während die Solarstromanlage auf dem Dach des Einfamilienhauses gerade dann viel Strom erzeugt, wenn es zur Mittagszeit im Haus an Nachfrage fehlt, können Energiegenossenschaften ihre Mitglieder von der Privatperson bis hin zum Gewerbe oder den kommunalen Gebäuden mit Strom aus den regionalen Anlagen versorgen. Denkt man sich die anderen Geschäftsfelder der Energiegenossenschaften im Wärme- und Mobilitätsbereich hinzu, weitet sich das Bild. Die regionale Nachfrage von Großwärmepumpen und Ladestationen könnte mit regionalem Strom gedeckt werden. In diesem Sinne ist das Glas mehr als voll. Doch dafür braucht es mehr Planungssicherheit und Anreize sowie eine enge Zusammenarbeit der Beteiligten vor Ort.
Die gesamte DGRV-Jahresumfrage Energiegenossenschaften 2024 zum Download gibt es hier: