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„Quick fixes“ für die EU-Mehrwertsteuer


Ein Beitrag von StB FBIStR Michael Schlang, LL.M., Abteilungsleiter DGRV Steuerabteilung, für unser Fachmagazin PerspektivePraxis.


Der Weg zu einem harmonisierten Mehrwertsteuersystem in der EU beginnt am 1. Januar 2020 mit einer Übergangsphase, in der bestimmte Sofortmaßnahmen greifen. Für den Unternehmer stellt die Umsatzsteuer in der Regel einen durchlaufenden Posten dar. Die als Vorsteuer gezahlte Umsatzsteuer erhält das Unternehmen nach Voranmeldung der Umsatzsteuer bzw. der Umsatzsteuererklärung wieder zurück. Allerdings können sich aufgrund der relativ hohen Steuersätze (EU-weit zwischen 17 und 27 Prozent) durch unzutreffend gebuchte und erklärte Umsätze ein enormer Berichtigungsbedarf und Steuerrisiken nebst Zinsrisiken ergeben. Dies gilt nicht nur für Großunternehmen, sondern z.B. auch für Genossenschaften jeder Größe.

Die von der Europäischen Union geplanten weitreichenden Reformen der Umsatzsteuer sind daher auch für Genossenschaften von großer Bedeutung. Und bereits ab dem kommenden Jahr werden die ersten Neuerungen als sogenannte „Quick Fixes“, was so viel bedeutet wie schnelle Lösungen, anzuwenden sein. Diese haben insbesondere Auswirkungen auf Unternehmen mit grenzüberschreitenden Lieferungen.

Bisherige Regeln der EU


In der ursprünglichen Vorstellung der EU-Mitgliedstaaten sollten in einem Binnenmarkt Gegenstände stets im Herkunftsland besteuert werden, so dass für den Handel innerhalb der EU dieselben Bedingungen gelten wie für den inländischen Handel. Bis heute konnte diese Regel jedoch sowohl politisch als auch technisch nicht umgesetzt werden.

Daher wurde 1993 – zunächst übergangsweise – das „Bestimmungslandprinzip“ eingeführt, d.h. die Ware ist im Land ihrer endgültigen Bestimmung der Besteuerung zu unterwerfen. Hiernach ergeben sich bei grenzüberschreitenden Lieferungen innerhalb der EU je korrespondierend eine Steuerbefreiung im Abgangsstaat und eine Steuerpflicht als innergemeinschaftlicher Erwerb im Empfangsstaat. Inzwischen stellte sich jedoch heraus, dass die vereinbarten Regelungen aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr zeitgemäß und vor allem betrugsanfällig sind.

Akuter Handlungsbedarf – Mehrwertsteuerbetrug in der EU


Ein Beispiel für grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug ist das sog. Karussellgeschäft. Hierbei wird Umsatzsteuer von im Inland und EU-Ausland ansässigen Scheinunternehmen, die zumeist wirtschaftlich inaktiv sind und ihre steuerlichen Pflichten verletzen (sog. „missing trader“), unter Einschaltung wirtschaftlich aktiver Unternehmen (sog. „buffer“), hinterzogen. Die gehandelte, meist hochwertige und fungible Ware (wie z. B. Mobiltelefone) wird innerhalb einer grenzüberschreitenden Lieferkette verkauft. Dabei macht der missing trader in der Kette die ihm in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend, kommt jedoch seiner Zahlungsverpflichtung an das Finanzamt aufgrund seiner Lieferung nicht nach und verschwindet. Der letzte Käufer in der Kette liefert schließlich wieder an den ersten Verkäufer, sodass sich der Kreis zu einem Karussellbetrug schließt.

Der Schaden hieraus ist immens. Einschließlich der geschilderten Karussellbetrugsfälle beziffert die Europäische Kommission die Schäden aus Mehrwertsteuerbetrug EU-weit auf rund 50 Milliarden Euro jährlich.

Lösungsansätze der EU


Zahlreiche Debatten und Untersuchungen auf EU-Ebene, etwa im Rahmen des Grünbuchs zur Zukunft der Mehrwertsteuer 2011 und dem Mehrwertsteuer-Aktionsplan 2016, führten zu dem Ergebnis, dass letztlich doch am „Bestimmungslandprinzip“ als Grundsatz der Umsatzbesteuerung festgehalten werden soll. Zugleich soll die Funktionsweise des Prinzips jedoch verbessert werden.

Am 2. Oktober 2018 hat der Rat für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN) die Einführung von „Quick Fixes“ ab 1. Januar 2020 beschlossen. Die „Quick Fixes“ sind als Sofortmaßnahmen vor allem zur Missbrauchs- und Betrugsbekämpfung konzipiert. 2022 bis 2024 soll die finale Phase beginnen und ein einheitliches Mehrwertsteuersystem in Kraft treten.

Ziel der „Quick Fixes“


Die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen unterliegt mit Einführung der „Quick Fixes“ zum 1. Januar 2020 verschärften Bedingungen. Die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung der Steuerbefreiung werden anhand der nachfolgenden Kriterien erweitert:


  • Vorliegen/Aufzeichnung der USt-Identifikationsnummer des Erwerbers. Hierdurch wird die Bedeutung der USt-Identifikationsnummer deutlich erhöht.
  • Erwerber müssen in einem anderen EU-Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke registriert sein, als dem, in dem die Versendung/Beförderung beginnt.
  • Die USt-Identifikationsnummer ist im MIAS-System zu erfassen bzw. zu validieren.
  • Ordnungsgemäße Meldung des Umsatzes in der Zusammenfassenden Meldung (ZM).

Die innergemeinschaftliche Lieferung wird zukünftig zwingend steuerpflichtig, wenn die USt-Identifikationsnummer des Abnehmers durch den Lieferer nicht aufgezeichnet wird. Dies gilt auch bei unterbliebener oder fehlerhafter Meldung des Umsatzes in der ZM. Insofern sollte ab 2020 eine stetige und qualifizierte Abfrage der USt-Identifikationsnummer des Lieferanten noch stärker in den Fokus rücken. Hierzu ist ggfs. die Implementierung unternehmensinterner, IT-gestützter Prozesse notwendig.

Weiterhin muss zukünftig eine innergemeinschaftliche Lieferung durch mindestens zwei Nachweise belegt werden, die von verschiedenen Parteien ausgestellt wurden. Dies können z.B. unterzeichnete CMR-Frachtbriefe, Spediteursrechnungen oder Konnossemente sein. Bislang war meist lediglich eine Gelangensbestätigung notwendig.

Darüber hinaus erfahren Reihengeschäfte erstmals über die Aufnahme in die Mehrwertsteuersystemrichtlinie EU-weit eine erste Vereinheitlichung. Zwar trifft dies nur auf Reihengeschäfte innerhalb der EU zu und auch nur auf Fälle, bei denen ein Zwischenerwerber den Transport beauftragt, dennoch ist der erste Schritt zur Beseitigung einer Vielzahl von bisher bestehenden Unsicherheiten gemacht.

Eine weitere Vereinfachung wird über die Aufnahme einer dann EU-weit einheitlich geltenden Regelung bei Lieferungen über Konsignationslager (Warenlager des Lieferanten/Kunden) eingeführt werden.

Fazit


Die mit den „Quick Fixes“ verbundene Vereinheitlichung der EU-Regelungen und die dadurch gewonnene Rechtssicherheit sind vorteilhaft. Hierdurch erfolgt der erste Schritt zu einer Anpassung des derzeitigen Mehrwertsteuersystems an die Anforderungen der Globalisierung und Digitalisierung. Zudem dürften damit auch umsatzsteuerlich bedingte Kosten minimiert werden, wenn zukünftig z. B. Registrierungen im Ausland entfallen können.

Allerdings führen die verschärften Anforderungen für die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen zu erhöhten umsatzsteuerrechtlichen Risiken und folglich zu Handlungsbedarf in den betroffenen Unternehmen.

Deutschland wird die EU-Regelungen wohl mit dem Jahressteuergesetz 2019 in nationales Recht umsetzen. Daher sollten innerbetriebliche Vorgaben und Prozesse in der Auftragsbearbeitung und -abwicklung rechtzeitig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden

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