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Digitalisierung bei Genossenschaften


Ein Beitrag von Sina Papstein, Abteilungsleiterin Recht beim DGRV

Geht es nun der Schriftform an den Kragen?


Wer schreibt, der bleibt. Dieses Sprichwort steht für eine Kultur, in der das gesprochene Wort nicht dauerhaft gilt und daher schriftlich fixiert werden sollte. Jener, auf den römischen Staatsmann Caius Titus zurückzuführende Grundsatz, hat die Jahrtausende überdauert und gilt noch heute. Lediglich das Medium, auf dem das Wort Unsterblichkeit erhalten soll, hat sich geändert. Was damals noch Steintafeln, Leder oder Birkenrinde waren, wurde spätestens mit Erfindung des Buchdrucks durch Papier abgelöst. Das Papier wiederum wird durch die fortschreitende Digitalisierung verdrängt. Ein Trend, der auch bei Genossenschaften ungebrochen ist. Im Zentrum steht derzeit die Forderung an den Gesetzgeber, den Weg für den digitalen Beitritt zur Genossenschaft freizumachen. Ein im Sommer vom Bundesjustizministerium (BMJ) vorgelegtes Eckpunktepapier mit diversen Vorschlägen zur Förderung der Digitalisierung bei Genossenschaften lässt hoffen.

Schritte in die richtige Richtung


Tatsächlich hat der Gesetzgeber bereits einiges getan, um der Digitalisierung bei Genossenschaften aufs Pferd zu helfen. So ermöglichte er durch den neu geschaffenen § 43b Genossenschaftsgesetz(GenG) alternative Formen der General- und Vertreterversammlung. Neben der klassischen Präsenzversammlung ist seitdem auch die virtuelle Versammlung geregelt. Überdies ist es den Genossenschaften erlaubt, sich auch für das hybride Versammlungsformat entscheiden zu können. Hierbei können die Mitglieder wählen, ob sie an der Versammlung in Präsenz oder virtuell teilnehmen wollen. Selbst die Option eines gestreckten Verfahrens besteht nun: Die Versammlung kann in eine virtuelle bzw. hybride Erörterungsphase und eine zeitlich nachgelagerte Abstimmungsphase aufgespalten werden. Letztere wiederum kann schriftlich oder auf elektronischem Weg erfolgen. Solche pandemiegetriebenen Änderungen entsprechen auch jenseits von Lockdown und Versammlungsverbot den praktischen Bedürfnissen der deutschen Genossenschaften. Ein weiterer Schritt in Richtung Digitalisierung betrifft die Anmeldungen zum Genossenschaftsregister. Seit August 2022 sind die Beglaubigungen dieser Anmeldungen auch mittels Videokommunikation im notariellen Online-Verfahren möglich. Eine diesbezügliche belastbare Praxiserfahrung fehlt allerdings bisher.

Ankündigung des BMJ


Auf dem Jahresempfang der deutschen Genossenschaften des DGRV in Berlin überraschte Bundesjustizminister Marco Buschmann mit der Ankündigung, die Schriftformerfordernisse im GenG auf den Prüfstand stellen zu wollen. Eine Erklärung, die in der Genossenschaftswelt auf offene Ohren stieß, da diese Vorgaben im GenG schon seit geraumer Zeit für Kritik sorgten. Auf dem Weg zur Digitalisierung werden gerade sie als beträchtlicher Hemmschuh angesehen. DGRV und BVR forderten deshalb schon 2019, im Rahmen der Diskussion um den Beitritt per PenPad, die Schriftformvorgabe anzugehen.

Eckpunkte zur Diskussion


Positiv festzuhalten ist, dass es nicht nur bei der obigen Ankündigung geblieben ist. Das BMJ hat Taten folgen lassen und im Juli 2023 das „Eckpunktepapier für einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der genossenschaftlichen Rechtsform“ (Eckpunktepapier) vorgelegt. Laut diesem verfolgt die Bundesregierung die Ziele „Förderung der Digitalisierung bei Genossenschaften, Steigerung der Attraktivität der genossenschaftlichen Rechtsform und Maßnahmen gegen unseriöse Genossenschaften.“ Erreicht werden soll dies durch punktuelle Änderungen des GenG. Unter anderem soll die Digitalisierung dadurch vorangetrieben werden, dass alle Schriftformerfordernisse des GenG dahingehend überprüft werden sollen, ob statt der Schriftform die Textform vorgesehen werden kann.

Schriftform? Textform? Wie war das nochmal?


In aller Kürze: Die Schriftform verlangt die eigenhändige Unterschrift, die Textform verzichtet darauf.

Daher gilt das Schriftformerfordernis auch als Digitalisierungskiller, während die Textform Digitalisierung ermöglicht. Sieht das Gesetz die Schriftform vor, § 126 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), ist grundsätzlich eine eigenhändige Unterschrift erforderlich. Eine E-Mail oder auch eine Erklärung über eine App erfüllen diese Voraussetzung somit nicht. Bei einer erforderlichen Textform hingegen reicht es aus, wenn eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben wird (§ 126b Satz 1 BGB). Eine lesbare, aber unterschriftslose Erklärung würde somit ausreichen. Für den Beitritt zur Genossenschaft (§ 15 GenG) z. B. ließe sich allein durch den Austausch des Wörtchens „Schriftform“ durch „Textform“ das Tor zur digitalen Verwaltung weit aufstoßen. Eine rechtsverbindliche Beitrittserklärung per E-Mail oder App wäre dann möglich.

Zugegeben, die Schriftform kann auch schon heute durch eine sogenannte qualifizierte elektronische Signatur ersetzt werden (§§ 126 Absatz 3, 126a Absatz 1 BGB), wie es derzeit schon vermehrt bei den Prüfungsberichten praktiziert wird. Allerdings besteht diese Möglichkeit nur in Teilbereichen und ist wegen des Aufwands und der Kosten als Option ohnehin noch nicht beim Verbraucher angekommen.

Die Nichteinhaltung einer vom Gesetz vorgeschriebenen Form führt zur Nichtigkeit der nicht formgerechten Erklärung (§ 125 Satz 1 BGB), die somit rechtlich wirkungslos ist. Für unser Beispiel „Beitritt zur Genossenschaft“ bedeutet das: Ist die Beitrittserklärung nicht in Schriftform abgegeben, stellen sich komplizierte Rechtsfragen.

Schriftformgebote des GenG


Schriftformgebote enthält das GenG an unterschiedlichen Stellen. Zentral hierbei ist die für den Beitritt zur Genossenschaft vorgeschriebene Schriftform. Dies allein ist für die Praxis von erheblicher Bedeutung. Aber auch das „Gegenstück“, nämlich die Beendigung der Mitgliedschaft in einer Genossenschaft, ist derzeit ausschließlich in der Schriftform wirksam. Nach aktueller Rechtslage hat das Mitglied die Kündigungserklärung eigenhändig zu unterzeichnen (§ 65 Absatz 2 Satz 1 GenG).
Auch wer zum Beispiel eine Genossenschaft gründen möchte, kommt aktuell nicht ohne eigenhändige Unterschriften von mindestens drei Gründern unter der Satzung aus (§§ 4, 5 GenG). Das Eckpunktepapier stellt nun all diese Schriftformerfordernisse auf den Prüfstand und lädt zur Diskussion über das Für und Wider ein.

Weitere Vorschläge des Eckpunktepapiers


Das BMJ stellt noch weitere Ansätze zur Förderung der Digitalisierung bei Genossenschaften vor. So sollen zum Beispiel – analog zu den alternativen Formen der General- und Vertreterversammlung – auch Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen als virtuelle oder hybride Versammlung bzw. als Versammlung im gestreckten Verfahren durchgeführt werden können. Auf Grundlage einer entsprechenden Satzungsregelung ist dies allerdings jetzt schon möglich. Überdies soll es eine Klarstellung geben, die besagt, dass auch die Gründungsversammlung einer Genossenschaft von den oben genannten Versammlungsvarianten Gebrauch machen darf. Ferner sind Regelungen zur Stärkung der Mitwirkung von Mitgliedern mittels digitaler Instrumente, insbesondere bei bestehenden Vertreterversammlungen, angedacht. Und nicht zuletzt macht das BMJ – über das Thema Digitalisierung hinaus – Vorschläge zur Steigerung der Attraktivität der genossenschaftlichen Rechtsform und für Maßnahmen gegen unseriöse Genossenschaften. Diese sollen an anderer Stelle näher betrachtet werden.

Fazit


Die Initiative des BMJ kommt zur rechten Zeit und die Diskussion ist in vollem Gange. Insbesondere der Austausch rund um die Schriftformerfordernisse des GenG spielt hierbei eine zentrale Rolle. Wichtig ist nun, dass der ins Rollen gekommene Stein auch weiterrollt. Der DGRV wird das Gesetzgebungsverfahren in Abstimmung mit den Mitgliedern eng begleiten und sich dabei weiterhin für den digitalen Beitritt stark machen.

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