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Digitaler Aufbruch in der Betriebsprüfung | Teil I:


Ein Beitrag von StB FBIStR Michael Schlang, LL.M., Leiter Abteilung Steuern beim DGRV

Teil 1: Ungeliebtes (einzu)schätzen lernen


Für die einen ist es eine wiederkehrende Routine in mehrjährigem Turnus. Für die anderen ist es eine einmalige Erfahrung – je nach Größe der Genossenschaft kann die Häufigkeit, mit der das Unternehmen damit konfrontiert ist, variieren. Die Stimmung, die sie hervorruft, ist allerdings meist die gleiche: Sie wird als lästig empfunden. Die Rede ist von der steuerlichen Außenprüfung (AP), in der Praxis auch gerne als Betriebsprüfung bezeichnet.

Auch wenn uns bewusst ist, dass unser steuerliches Deklarationsverhalten dann und wann zu überprüfen ist, um die Gleichmäßigkeit der Besteuerung aller Steuerpflichtigen sicherzustellen (Achtung: Grundgesetz!), ist die Freude in der Regel verhalten, wenn uns die Prüfungsanordnung ins Haus flattert und eine Betriebsprüfung nach § 193 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) angeordnet wird. Hier verhält es sich ähnlich wie mit Polizeikontrollen im Straßenverkehr. Wir sind uns stets sicher, dass wir mündige und erfahrene Verkehrsteilnehmer sind und uns rücksichtsvoll verhalten. Wird uns jedoch bei einer Kontrolle unser Fehlverhalten aufgezeigt und droht hierauf folgend etwa eine Sanktionierung, reagieren wir unterschiedlich und abhängig vom Tatvorwurf mehr oder weniger gelassen.

Jedenfalls liegt ab der Entdeckung des Fehlverhaltens die Gestaltungshoheit nicht mehr in der Hand des Fahrzeugführers respektive des Steuerpflichtigen. Am besten wäre es daher, wenn wir erst gar nicht Gefahr liefen, kontrolliert zu werden. Aber ist das möglich? Kann man vermeiden, dass Kontrollen stattfinden und auf diese Weise dem „Knöllchen“ der Finanzverwaltung entgehen? Und falls eine Prüfung doch unabdingbar ist: Wie lässt sich sicherstellen, dass es nichts zu befürchten gibt?

In diesem und einem folgenden Beitrag werden hilfreiche Neuerungen und Maßnahmen vorgestellt, die für einen entspannteren Umgang mit dem Betriebsprüfer sorgen. Nachfolgend soll dies am Beispiel der Mutter aller Betriebsprüfungen – der Prüfung der betrieblichen Steuerarten Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer – betrachtet werden (die Diskussion um den Solidaritätszuschlag soll an dieser Stelle nicht eröffnet werden, dies wäre Thema für einen eigenen Beitrag). Das rechtliche Grundgerüst für die Außenprüfung findet sich maßgeblich in der AO als gesetzliche Grundlage sowie der Betriebsprüfungsordnung (BpO 2000) als ergänzende Verwaltungsanweisung für die Prüfungsdurchführung.

Reform und Modernisierung der Betriebsprüfung


Auch die Finanzverwaltung wird vom Mangel an Fachkräften nicht verschont: Es fehlt das Personal, um die Anzahl der geplanten Prüfungen in der vorgesehenen Zeit durchzuführen. Zugleich machen sich die ersten Ausläufer der Digitalisierung und der Corona-Pandemie in deutschen Amtsstuben bemerkbar. Zwar sieht § 6 BpO 2000 vor, dass die Außenprüfung nur ausnahmsweise außerhalb der Geschäftsräume des Steuerpflichtigen vorzunehmen ist, in der Praxis ist jedoch zu beobachten, dass Außenprüfungen vermehrt an Amtsstelle statt bei dem Steuerpflichtigen vor Ort stattfinden. Dem Wortsinne nach dürfte dieses Vorgehen insofern gar nicht mehr Außenprüfung genannt werden.

Das seit vielen Jahren bewährte Vorgehen der Finanzverwaltung wird sich in den kommenden Jahren weiter verändern. Denn der Bundesrat hat noch im Jahr 2022 dem sogenannten „DAC 7-Umsetzungsgesetz“ zugestimmt, mit dem unter anderem das Steuerverfahrensrecht (endlich) modernisiert werden soll. Nach Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt ist das Gesetz am 28. Dezember 2022 in Kraft getreten.

Ein Bestandteil dieser Modernisierung ist die Einführung eines neuen § 147b AO mit Wirkung seit 1. Januar 2023. Zweck der Regelung ist eine deutliche Weiterentwicklung der Digitalisierung der Außenprüfung, welcher stark verbesserte Auswertungs- und Analysemöglichkeiten der Finanzverwaltung folgen werden.

Hiernach wird das Bundesfinanzministerium ermächtigt, einheitliche digitale Schnittstellen und Datensatzbeschreibungen für den standardisierten Export von Daten zu bestimmen. Diese Ermächtigung erstreckt sich auf sämtliche für steuerliche Zwecke aufbewahrungspflichtige Daten, die mit einem Datenverarbeitungssystem erstellt worden sind. Zudem kann das BMF für die Steuerpflichtigen auch eine Pflicht zur Implementierung und Nutzung der jeweiligen einheitlichen digitalen Schnittstelle oder von Datensatzbeschreibungen für den standardisierten Export von Daten bestimmen.

Dies geht einher mit einer zwingenden Vereinheitlichung sowohl des Aufbaus der Datensätze als auch der Datensatzbeschreibung in den genutzten DV-Systemen. Die Implementierung solcher Schnittstellen wird dementsprechend einen erheblichen Aufwand bei den Steuerpflichtigen verursachen.

Dieser Schritt ist in seiner Deutlichkeit neu. Zwar forderten bereits die Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD) seit 2014, dass sich „die einzelnen Geschäftsvorfälle […] in ihrer Entstehung und Abwicklung lückenlos verfolgen lassen [müssen]. [Eine] […] progressive und retrograde Prüfung [muss] […] für die gesamte Dauer der Aufbewahrungsfrist und in jedem Verfahrensschritt möglich sein“. Dies ist aktuell ohne eine entsprechende aussagekräftige Verfahrensdokumentation sehr schwer und nur eingeschränkt möglich. Sobald einheitliche digitale Schnittstellen und Datensatzbeschreibungen für den standardisierten Export von Daten verpflichtend werden, wird sich das jedoch ändern. Um bei dem Eingangsbeispiel zu bleiben: Die Fahrzeugdaten des Verkehrsteilnehmers können zukünftig mittels vorgegebener Schnittstellen ausgelesen werden, sodass zum Beispiel eine Geschwindigkeitsüberschreitung besser erkenn- und nachweisbar wird, auch ohne geeichtes Radarmessgerät.

Bereits jetzt wird der Prüfernachwuchs verstärkt darin ausgebildet, digitale Prüfungstools und -methoden umfassend zu nutzen. In naher Zukunft werden IT-Fachprüfer der Finanzverwaltung die Datenaufbereitung bei Betriebsprüfungen vornehmen; die Spezialisierung der Beamten schreitet immer schneller voran. Auch Massendaten werden künftig bis auf Einzelbelegebene und sogar Einzelpositionsebene durch die Betriebsprüfer mit vertretbarem Aufwand analysierbar sein und somit in bisher ungekanntem Detailreichtum in die Prüfung einfließen.

Vorkehrungen und Entgegenkommen


In vorgenanntem Kontext einer zukünftig gesteigerten Prüfungsintensität werden auch die Unternehmen aufrüsten können. So ergeben sich neue Möglichkeiten zur Abwehr von Feststellungen im Rahmen von digitalen „pre-BP-Checks“. Diese Selbstprüfungen durch Datenanalysen sorgen für mehr Planungssicherheit der Unternehmen, denn das Risiko potenzieller Feststellungen durch die Betriebsprüfung wird deutlich verringert.

Daneben gibt es auch positive Entwicklungen. Es mag eine Konsequenz des skizzierten Personalmangels sein, dass die Werte zur Abgrenzung der BP-Größenklassen gemäß § 3 BpO 2000 ab dem 1. Januar 2024 in erheblichem Umfang erhöht werden.

Zur Erläuterung: Per Definition müssen Großbetriebe fortlaufend geprüft werden, Mittelbetriebe werden statistisch alle 15 Jahre geprüft, Kleinbetriebe statistisch alle 31 Jahre und Kleinstbetriebe alle 56 Jahre. Ab dem Jahr 2024 gilt ein Handelsbetrieb erst als groß, wenn er Umsatzerlöse in Höhe von 14 Mio. Euro (bisher: 8,6 Mio. Euro) oder einen steuerlichen Gewinn von 800.000 Euro (bisher: 335.000 Euro) erzielt. Für Kreditinstitute gilt jedoch nach wie vor, dass das Aktivvermögen 175 Mio. Euro betragen oder der steuerliche Gewinn bei mindestens 670.000 Euro liegen muss. Da der Rechenlauf für die Abgrenzungskriterien ab 2024 im vierten Quartal 2023 stattfinden wird, bietet sich für Unternehmen an der Grenze von der einen zur anderen Betriebsart eventuell Handlungsspielraum. Wenn bis zum vierten Quartal 2023 die Steuererklärungen 2022 nicht eingereicht werden, wird das Finanzamt für die Einordnung in die entsprechende Größenklasse auf die Werte des Veranlagungszeitraums 2021 zurückgreifen. Coronabedingt könnten beispielweise Umsatz und Gewinn im Jahr 2021 niedriger ausfallen als 2022. Es lohnt sich daher, einen Blick auf die Abgrenzungsmerkmale in § 3 BpO 2000 zu werfen, wenn man eine Anschlussprüfung vermeiden möchte. Ein solches Vorgehen wäre legitim (im Gegensatz zu einer Warnapp für Starenkästen, um Kontrollen im Straßenverkehr zu entgehen).

Doch manches Mal lässt sich die Betriebsprüfung eben nicht vermeiden. Und das ist auch nicht zwingend von Nachteil, denn schließlich sieht die Finanzverwaltung vor, nicht nur zulasten, sondern auch zugunsten des Steuerpflichtigen zu prüfen. Es gilt daher, die Prüfung offen und unvoreingenommen anzunehmen. Wie Sie den Betriebsprüfer bereits zu Beginn der Prüfung von Ihrer Steuerehrlichkeit überzeugen können und ihm sein Vorgehen erleichtern erfahren Sie im zweiten Teil.

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