Ein Beitrag von Benjamin Dannemann, Referent für Kommunikation, Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim DGRV
Mit der Erneuerbaren-Energien-(EE)Richtlinie hat die Kommission der Europäischen Union (EU-Kommission) Vorgaben für eine umfassende Energiewende in der EU formuliert. Neben den ambitionierten Zielen beim Ausbau erneuerbarer Energien in den Sektoren Strom, Wärme und Verkehr ist ein Ziel die möglichst umfassende Einbindung verschiedener Marktakteure im Strombereich. Neben den großen Energieversorgungsunternehmen und Projektierern, sollen auch kleine und mittlere Unternehmen Konzepte umsetzen können. Diese verwirklichen oft regionale Projekte gemeinsam mit den Menschen vor Ort.
In den letzten Jahren wurde deutlich, dass kleine und mittlere Unternehmen Schwierigkeiten haben, einen Zugang zum Strommarkt zu bekommen. Die großen (und in anderen europäischen Ländern auch staatlichen) Energieversorgungsunternehmen sowie die kapitalstarken überregionalen Projektierer haben strukturelle Vorteile. Daher sollen spezifische Förderstrukturen geschaffen werden. Einen ersten Schritt bildet hierfür die Definition der förderbaren Unternehmen. Der nächste Schritt ist es, den regional Agierenden zu ermöglichen, den erzeugten Strom nicht nur einzuspeisen, sondern auch gemeinsam vor Ort zu nutzen – und dies zu einem günstigen Preis.
Da mit der Umsetzung der EE-Richtlinie in Deutschland erst Mitte 2022 begonnen wurde, machten andere Mitgliedsstaaten vor Deutschland bereits erste Erfahrungen bei der Implementierung und ihrer Auswirkung. Dank des von der EU-Kommission geförderten Projekts SHAREs kann sich die Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim DGRV mit sechs Organisationen aus ganz Europa austauschen und so von Praxiserfahrungen beispielsweise aus Österreich lernen. Diese Erfahrungen zur Definition von Bürgerenergiegesellschaften und die daran geknüpfte Förderung konnten Mitte 2022 erfolgreich in die politische Debatte im Rahmen der letzten EEG-Novelle eingebracht werden.
Allerdings fehlt es in Deutschland noch immer an einer Förderung für die von der EU-Kommission geforderten gemeinsame Nutzung des erzeugten Stroms vor Ort. Vorgaben hierfür gibt es aber in Österreich, Italien und den Niederlanden. Große Herausforderungen beim sogenannten Energy Sharing bestehen in der Verknüpfung der zeitgleichen Stromerzeugung und des Stromverbrauchs über das öffentliche Netz. Während die Stromversorgung bei bestehenden Modellen wie beim Mieterstrom unabhängig vom öffentlichen Netz erfolgt, soll die Stromversorgung beim Energy Sharing nicht im selben Gebäude stattfinden.
Gerade für Energiegenossenschaften kann das Energy Sharing eine Möglichkeit sein, ihren Mitgliedern nicht nur ein Stromprodukt anzubieten, das über den Einkauf von Strom an der Börse funktioniert. Energiegenossenschaften könnten ihre Mitglieder lokal mit Strom aus den eigenen regionalen Anlagen versorgen und ihnen ein entsprechendes attraktives, kostengünstiges Angebot machen.
Doch Energy Sharing nutzt im Gegensatz zum Mieterstrom das öffentliche Netz, um den Strom von der Erzeugungsanlage zu Verbraucherinnen und Verbrauchern zu transportieren. Die Erfassung zwischen Erzeugung und Verbrauch muss daher mindestens zweifach passieren, um sicherzustellen, dass Verbrauch und Erzeugung auch gleichzeitig erfolgen. In Österreich steht die Messung von Erzeugung und Verbrauch daher alle 15 Minuten an und passiert in den Bilanzkreisläufen. Die hierfür notwendigen baulichen und technischen Maßnahmen gehen mit einem finanziellen Aufwand einher. Um das von der EU-Kommission geforderte günstige Angebot im Rahmen des Energy Sharings zu ermöglichen, müssen diese Anfangsinvestitionen kompensiert werden. So wird das Energy Sharing in Italien mit 11 Cent je Kilowattstunde erzeugtem und verbrauchtem Strom gefördert.
Neben den technischen und baulichen Herausforderungen gibt es auch vertragliche und juristische. Das rechtliche Modell, unter dem das Energy Sharing in Deutschland möglich sein soll, wird sich an der bereits gesetzlich verankerten Definition von Bürgerenergiegesellschaften orientieren. Bürgerenergiegesellschaften bestehen aus mindestens 50 natürlichen Personen, die in maximal 50 Kilometer Abstand zur Anlage wohnen. Diese müssen als Gesellschafter zudem mit 75 Prozent die Mehrheit in dem Projekt haben.
In Österreich sind die Anbieter der Sharing-Modelle auf die Betreiber der Verteilnetze angewiesen. Da diese oft selbst Stromprodukte anbieten und der Betrieb durch mehr angeschlossene Kapazitäten komplizierter wird, besteht wenig Anreiz, das Energy Sharing zu ermöglichen. Die Erfahrungen aus Österreich zeigen, dass auch ein Jahr nach der Einführung bisher kaum Anbieter im Energy Sharing tätig sind. Die genossenschaftliche Mitgliederversorgung hängt daher eng mit einer Umgestaltung des Strommarkts zusammen.
Der Strommarkt regelt nicht nur die Strompreise, sondern muss auch die technischen Bedingungen der Stromnetze berücksichtigen. Im Stromnetz müssen Angebot und Nachfrage nahezu ausgeglichen sein, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Hierfür ist es in mehrere Ebenen eingeteilt. Die regionalen Energieversorgungsunternehmen sind auf der Verteilnetzebene dafür verantwortlich, Stromverbrauch und Stromerzeugung in Einklang zu halten. Steigt der Verbrauch in den Verteilnetzen über die Erzeugung, muss zusätzlicher Strom erzeugt oder aus den überregionalen Übertragungsnetzen eingespeist werden. Umgekehrt muss überschüssiger Strom in die Übertragungsnetze eingespeist und an anderer Stelle genutzt werden.
Da in Zukunft Sonne und Wind einen großen Teil der Stromerzeugung ausmachen, werden Angebot und Nachfrage in den Verteilnetzen zunehmend flexibel gesteuert werden müssen. Doch diese flexible Steuerung wird durch den Strommarkt derzeit nicht honoriert. Aufgrund der vielen Abgaben und Steuern auf den Strompreis, können die günstigen Preise bei einem großen Angebot von Wind- und Sonnenstrom nicht an die Verbrauchenden weitergegeben werden. Es gibt derzeit also keine Anreize, den Stromverbrauch an der Erzeugung zu orientieren. Dabei wird die Menge des flexibel einsetzbaren Verbrauchs durch Elektromobilität und durch den vermehrten Einsatz von Wärmepumpen noch zunehmen.
Auch auf der Ebene der Stromerzeugungsanlagen fehlt es an Anreizen, den Verbrauch und die Erzeugung zusammenzudenken. Schon heute sorgt das teilweise große Angebot von Wind- oder Sonnenstrom dafür, dass die Preise an der Strombörse in den Keller fallen. Damit werden aber Investitionen in neue Projekte immer unattraktiver, weil sie sich immer weniger auszahlen. Die Amortisationszeit und das Investitionsrisiko steigen. Für kleine und mittlere Unternehmen sind solche Entwicklungen besonders schwer zu handhaben. Dabei kann die Flexibilisierung des Strommarkts insbesondere auf regionaler Ebene erfolgen. Je mehr Strom lokal erzeugt und direkt verbraucht wird, umso weniger Strom gelangt an die Strombörse und drückt so die Preise. Ein neues Strommarktdesign sollte daher unbedingt die lokalen Marktplätze mitdenken und das Energy Sharing fördern.
Schon seit Beginn der Energiewende wird über die Notwendigkeit gesprochen, den Strommarkt mit Blick auf die fluktuierende Erzeugung durch Sonne und Wind flexibler zu gestalten. Mit dem Energy Sharing könnte ein Geschäftsmodell etabliert werden, welches Anreize setzen könnte, genau diese Umgestaltung zu erreichen. Von den anderen Ländern können wir lernen, dass es eine besondere Förderung etwa durch Prämien oder eine Entgeltreduktion braucht. Wichtig ist die möglichst breite Einbindung von Verbrauchenden beim Energy Sharing als Teil einer zukünftigen intelligenten Energieinfrastruktur.