Newsroom / PerspektivePraxis / Energie

Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften


Ein Beitrag von Anton Mohr, Projektreferent, Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim DGRV

Für einen zukunftsfähiges Energiesystem


Ein Beitrag zum Klimaschutz, stabile Energiepreise und lokale Wertschöpfung sind zentrale Gründe, warum sich mehr und mehr Menschen in ganz Europa zu Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften (EE-Gemeinschaften) zusammenschließen. Doch obwohl Deutschland mit fast 900 Energiegenossenschaften zu den Staaten in der Europäischen Union mit einer sehr ausgeprägten gemeinschaftlichen Energiewende zählt, kann von einer flächendeckenden Partizipation der Bürger:innen keine Rede sein. Dabei ist die Energiewende eine Gemeinschaftsaufgabe. Gemeinsam müssen Politik, Unternehmen und Haushalte ein ganzes Energiesystem umbauen. Da die Projekte regional umgesetzt werden, gelingt die Transformation nur mit der Akzeptanz der Menschen vor Ort. EE-Gemeinschaften eröffnen eine Möglichkeit zur Teilhabe und sind daher ein wichtiger Schlüssel für erfolgreichen Klimaschutz.

Lärmschutzwand mit Solarmodulen der EnergieGenossenschaft Inn-Salzach eG

EU-Projekt unterstützt EE-Gemeinschaften


Die Gründung einer EE-Gemeinschaft hängt von vielen Faktoren ab, die von den Rahmenbedingungen bis hin zur Aktivierung der Menschen reichen. Die Rahmenbedingungen haben sich im Zuge der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie in der EU verbessert. Die gemeinschaftliche Umsetzung von Energieprojekten ist allerdings in den verschiedenen EU-Staaten unterschiedlich geregelt. Doch trotz unterschiedlicher nationaler Regelungen bleiben die Herausforderungen bei der Realisierung einer EE-Gemeinschaft sehr ähnlich: Menschen müssen zusammenkommen und gemeinsam die Idee für ein oder mehrere Projekte entwickeln. Der Plan muss hinsichtlich der regulatorischen und technischen Möglichkeiten und insbesondere der wirtschaftlichen Realisierbarkeit und eines nachhaltigen Betriebs konzipiert werden.

Online-Plattform „erneuerbare-energie-gemeinschaften.de“

Um Interessierte bei diesem Vorhaben zu unterstützen und in verschiedenen europäischen Ländern die Gründung neuer Energiegemeinschaften zu fördern, wurde das SHAREs-Projekt ins Leben gerufen. Im Rahmen des von der EU-Kommission geförderten Projekts wurde dafür unter anderem eine Internetseite entwickelt, die als zentrale Anlaufstelle für die Gründung und Weiterentwicklung von Energiegemeinschaften dient. Die Online-Plattform „erneuerbare-energie-gemeinschaften.de“ reicht von Projektkonzepten mit umfassendem Material für die Entwicklung eines eigenen Projektkonzepts, einer Sammlung von Online-Tools zur Berechnung von Klimaschutz- und Wertschöpfungseffekten sowie Genossenschaftsgründung bis hin zu White-Label-Materialien zur Kommunikation und für eigene Veranstaltungen. Auch bestehende Energiegenossenschaften finden hier das notwendige Material zur Gewinnung und Ansprache neuer Mitglieder, wie etwa Zielgruppenprofile, Kernbotschaften oder Mitgliedstypen. Gerade zum Beginn eines Projekts ist es außerdem wichtig, auf inspirierende Beispiele und Austauschmöglichkeiten mit bestehenden Energiegemeinschaften an die Hand zu bekommen. Dafür wird im Rahmen von SHAREs auch ein Mentoringprogramm angeboten, bei dem die verschiedenen Initiativen voneinander lernen können.

Studienreise für angehende Energiegemeinschaften


Teilnehmende der SHAREs-Studienreise

Mit Hilfe des Mentoringprogramms ermöglichte das SHAREs-Projekt eine Studienreise in Deutschland und Österreich für 34 engagierten Bürger:innen aus sechs Ländern. Die internationale Gruppe setzte sich aus Menschen zusammen, die aufgrund ihrer Pionierarbeit im Bereich der EE-Gemeinschaften im Projekt als „lokale Helden“ der Energiewende bezeichnet werden. Ziel der Studienreise war es, den Teilnehmenden praktisches Wissen über die finanziellen, rechtlichen und technischen Hintergründe einer EE-Gemeinschaft zu vermitteln und ihnen hilfreiche Werkzeuge an die Hand zu geben, um eigene Erneuerbare-Energien-Projekte umzusetzen. Die dargestellten Inhalte sollen den Teilnehmenden bei der Gründung neuer Energiegemeinschaften helfen und mehr bürgerliche Teilhabe in ihren Heimatregionen anstoßen. An drei Tagen wurden drei Energiegenossenschaften in Freising, Altötting und Bruck an der Leitha besucht.

Am ersten Tag wurden die Teilnehmenden von der „Bürgerenergiegenossenschaft Freisinger Land eG“ in der Nähe von München in Empfang genommen. Zum Kennenlernen stellten die Teilnehmenden ihre Projektideen sowie die Herausforderungen mit den gesetzlichen Regelungen in ihren Ländern vor. Der Vorstandsvorsitzende Werner Hillebrand-Hansen der „Bürger Energie Genossenschaft Freisinger Land eG“ präsentierte in seinem Vortrag die Erfahrungen bei der Gründung der Energiegenossenschaft, die Regeln und Möglichkeiten der Rechtsform Genossenschaft sowie die in Freising umgesetzten Geschäftsmodelle. Nach der Theorie erhielten die Teilnehmenden auch einen direkten Einblick in ausgewählte Projekte.

PV-Anlage des Mieterstromprojekts der BEG-FS

Als erstes ging es zu einem Mieterstromprojekt, das in Kooperation mit der Gemeinde umgesetzt wurde. Dabei versorgt eine Solarstromanlage mit einer Leistung von 130 Kilowatt 115 Wohnungen mit Strom. Die Energiegenossenschaft stellt sicher, dass Strom bei einer zu großen Erzeugung ins öffentliche Netz eingespeist werden kann, versorgt aber auch die Haushalte mit Strom aus anderen Anlagen, wenn die Sonne nicht scheint. Das technische Herzstück eines Mieterstromprojekts ist nicht nur die Solarstromanlage auf dem Dach, sondern der Zählerraum im Keller. Hier wird der Strom durch intelligente Messsysteme in die Haushalte verteilt. Künftig sollen ähnliche Mieterstromprojekte auch durch die Teilnehmenden aus dem Partnerland Ungarn umgesetzt werden. Dort wurde wenige Wochen zuvor die erste offizielle Energiegemeinschaft des Landes gegründet.

Anschließend wurde eine Solarstromanlage auf dem Dach einer Schule besichtigt. Da der Unterricht zu Zeiten stattfindet, in denen die Sonne scheint, werden auf ganz natürliche Weise die Erzeugung und der Verbrauch in Einklang gebracht. Die Daten der Solaranlage mit einer installierten Leistung von 100 Kilowatt zur Stromerzeugung werden als Lernmaterial für den Unterricht zur Verfügung gestellt. So lernen die Schüler:innen die Funktionsweise der lokalen Stromversorgung aus erneuerbaren Energien kennen und erhalten ein praktisches Verständnis für die Transformation des Energiesystems. Die beiden Projekte verdeutlichen, wie eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit verschiedenen lokalen Akteuren funktionieren kann. In den Partnerländern gestaltet sich die Kommunikation vor allem mit der öffentlichen Seite oft schwierig. Insbesondere die Teilnehmenden aus Bulgarien und Kroatien zeigten sich erfreut über die neuen Einblicke in die Kooperationsmöglichkeiten zwischen Energiegemeinschaften und Kommunen.

Den zweiten Tag verbrachte die Gruppe bei der „EnergieGenossenschaft Inn-Salzach eG“. Ihr Vorstandsvorsitzender Pascal Lang berichtete den Teilnehmenden lebhaft aus seiner zehnjährigen Erfahrung: welche Hürden bei der Kooperation mit der Gemeinde entstehen können und wie diese zu überwinden sind. Das Hin und Her bis zur Realisierung wurde anhand von zwei Praxisbeispielen verdeutlicht. Beim ersten Projekt wurde eine Lärmschutzwand mit Solarmodulen versehen. Diese innovative Nutzung von Fläche war die erste ihrer Art in Europa und steht wie keine Zweite für die Überwindung bestehender Hürden bei der Umsetzung neuer Ideen. Das zweite Projekt waren Solarcarports, die parkenden Autos im Sommer Schatten spenden und den erzeugten Strom gleichzeitig für die integrierten Ladestationen nutzen. Ein gutes Beispiel für die Sektorenkopplung – in diesem Fall, das Zusammenbringen von Strom und Verkehr.

Energy Sharing in Österreich


Windenenergieanlage im Energiepark Bruck

Am letzten Tag der Studienreise nahmen die Teilnehmenden an der offiziellen Eröffnung des neuen Hauptquartiers des Energiepark Bruck teil. Energieregionen-Manager Philip Loitsch erklärte, wie das Energy Sharing der Energiegemeinschaft funktioniert. Die Mitglieder erhalten den Strom aus den Gemeinschaftsanlagen dabei direkt aus dem öffentlichen Netz. Im Gegensatz zu Deutschland ist die Versorgung über das öffentliche Netz in Österreich gesetzlich möglich. Dafür verfügt der Energiepark Bruck über eine Vielzahl von Erneuerbare-Energien-Anlagen. Ähnlich wie die Lärmschutzwand bieten sogenannte Agri-PV-Anlagen eine innovative Möglichkeit, Solarstrom und landwirtschaftliche Nutzung auf einer Fläche zu verbinden. Auf fünf Hektar wird genug Strom für über 1.000 Haushalte erzeugt. Die Anlage verändert konstant die Ausrichtung, um die Sonneneinstrahlung sowohl für die landwirtschaftliche Erzeugung als auch für die Stromproduktion zu maximieren. An einer zweiten Station wurden die Abläufe in einer Biogasanlage erklärt, die aus landwirtschaftlichen Resten und biogenen Abfällen Strom und Wärme erzeugt. Mit Windenergieanlagen, die mutige Teilnehmende zum Abschluss der Studienfahrt besteigen konnten, bietet der Energiepark einen umfassenden Mix aus verschiedenen erneuerbaren Quellen und damit eine hohe Versorgungssicherheit der Mitglieder der Energiegemeinschaft.

Die Möglichkeit, den eigenen Strom über das öffentliche Netz an die Mitglieder zu liefern, stieß insbesondere bei den deutschen Teilnehmenden auf Begeisterung. So ist auch für die Energiegenossenschaft Göttingen, deren Gründung durch das SHAREs-Projekt begleitet wurde, die Mitgliederversorgung ein wichtiges Ziel. Doch solange die gesetzlichen Regelungen in Deutschland nicht geändert werden, lässt sich die erzeugte Energie in den kennengelernten Projektkonzepten in Freising und Altötting nur in das öffentliche Netz einspeisen und muss anschließend von den Gemeinschaftsmitgliedern teuer wieder von ihren Stromversorgern eingekauft werden.

Ob Energy Sharing, Mieterstrom oder PV-Strom für ein öffentliches Gebäude – auf der Studienreise war für alle angehenden Energiegemeinschaften ein passendes Geschäftsmodell dabei, das es nun umzusetzen gilt. Neben dem Wissen über die Durchführbarkeit der Projekte und der richtigen Ansprache der relevanten Akteure konnte den Teilnehmenden viel Inspiration zur Umsetzung ihrer eigenen innovativen Ideen mit auf den Weg gegeben werden.

Fazit


Das SHAREs-Projekt geht 2024 in das letzte Jahr. Nachdem die möglichen Projektkonzepte in den Projektländern Ungarn, Kroatien, Bulgarien, Georgien und Deutschland identifiziert wurden und ein vielfältiges Angebot auf der Online-Plattform erneuerbare-energie-gemeinschaften.de geschaffen wurde, sollen nun Gründungsinitiativen für EE-Gemeinschaften angestoßen werden. Das SHAREs-Projekt wird seine Pilot:innen auch in ihren nächsten Schritten begleiten und die Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim DGRV wird sich weiter mit Nachdruck für die Einführung von Energy Sharing auch in Deutschland und die Berücksichtigung der EE-Gemeinschaften bei der kommunalen Wärmeplanung einsetzen.

Folgende Artikel unseres Fachmagazins PerspektivePraxis könnten Sie auch interessieren:


Energie

Genossenschaftliche Wärmenetze

So können sie zur Wärmewende beitragen

Mehr
Energie

Energie gemeinsam nutzen

Hürden und Chancen von Energy Sharing

Mehr
Energie

Neue Plattform

Genossenschaftliche E-Mobilität

Mehr