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EU-Nachhaltigkeitsberichterstattung geht in die nächste Runde


Ein Beitrag von Sylvia Bitterwolf, Referentin Abteilung Grundsatzfragen des DGRV

Auswirkungen auch für KMU


Mit dem Inkrafttreten der überarbeiteten Richtlinie für die Nachhaltigkeitsberichterstattung („Corporate Sustainability Reporting Directive“, CSRD) am 5. Januar 2023 werden Nachhaltigkeitsberichte künftig einen völlig neuen Rahmen erhalten. Zum einen werden deutlich mehr Unternehmen zu einer Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet, wobei die schrittweise Ausweitung der Berichterstattung 2025 (für das Geschäftsjahr 2024) beginnt. Zum anderen werden verbindliche europäische Berichtsstandards („European Sustainability Reporting Standards“, ESRS) eingeführt, die die Berichtsinhalte deutlich ausweiten werden. Die Europäische Beratungsgruppe zur Rechnungslegung („European Financial Reporting Advisory Group“, EFRAG) veröffentlichte hierfür im April 2022 ihre Entwürfe für die ersten Kernstandards, die sie – nach zwischenzeitlicher Überarbeitung – Ende November 2022 an die Europäische Kommission übergab. Diese müssen bis 30. Juni 2023 final von der Europäischen Kommission per delegiertem Rechtsakt erlassen werden.

Der DGRV hat sowohl zu den ersten Entwürfen gegenüber der EFRAG als auch zu den im November veröffentlichten finalen Entwürfen Stellung genommen. Im Folgenden wird auf wesentliche Aspekte der Stellungnahme eingegangen.

Entwürfe passen nicht auf mittelständisch geprägte Unternehmen


Die vorliegenden Entwürfe für EU-Nachhaltigkeitsberichterstattungsstandards passen – auch nach Überarbeitung durch die EFRAG – nicht auf berichtspflichtige mittelständische Unternehmen, da sie unverändert auf große international tätige Konzerne zugeschnitten sind. Insofern besteht die große Gefahr, dass die insbesondere für Großunternehmen entwickelten Standards – trotz aller gegenteiligen politischen Bekundungen – nunmehr auch auf mittelständisch geprägte nichtkapitalmarktorientierte Unternehmen und schrittweise auf KMU (kleine und mittlere Unternehmen) ausgeweitet werden. Aufgrund des proportional höheren Kostenblocks zur Umsetzung der ESRS steigt das Risiko von Wettbewerbsnachteilen für kleinere Unternehmen. Vor diesem Hintergrund ist eine deutlich abgestufte und adressatenorientierte Berichterstattungsnorm dringend notwendig.

Regulierungsflut führt zu Überlastungen


Parallel zur CSRD und den damit einhergehenden ESRS gibt es schon heute diverse Nachhaltigkeitsberichtsanforderungen und auch noch weitere, bereits angekündigte Ansprüche; zum Beispiel die Berichtspflichten nach Art. 8 der Taxonomie-Verordnung, die europäische Richtlinie zur Corporate Sustainability Due Diligence (CSDD), die Einrichtung eines European Single Access Points (ESAP) und die noch zu erwartenden 40 sektorspezifischen Standards der EFRAG. Mit dieser Flut an Detailinformationen auf Basis unterschiedlicher Regelwerke und Anforderungen (mit zum Teil ähnlichen, aber nicht identischen Erwartungen) werden die Unternehmen in den nächsten Jahren – teilweise zeitgleich – konfrontiert werden, was insbesondere bei mittelständisch geprägten nichtkapi-talmarktorientierten Unternehmen zur weiteren Überlastung führen wird.

Hinzu kommt, dass große Unternehmen aufgrund ihrer Berichtspflichten Datenanforderungen an kleinere Unternehmen, mit denen sie in Geschäftsverbindung stehen, weitergeben werden, auch wenn Letztere nicht immer direkt von diesen Berichtspflichten betroffen sind. Insofern können die ESRS – unabhängig von einer direkten Berichtspflicht – Konsequenzen für alle Unternehmen haben.

Verhältnismäßiger Ansatz fehlt


In den vorliegenden Entwürfen fehlt leider ein ausreichend verhältnis mäßiger Ansatz, da in den Anforderungen nicht differenziert wird zwischen großen, international tätigen Unternehmen und kleineren, regionalen Unternehmen mit „nur“ 250 Mitarbeitern. Während heute allenfalls große kapitalmarktorientierte Unternehmen schon über entsprechende Ressourcen verfügen, müssten insbesondere mittelständisch geprägte nichtkapitalmarktorientierte Unternehmen hierfür enorme zusätzliche Kapazitäten aufbauen, um die komplexen Berichtsanforderungen bewältigen zu können.

Darüber hinaus werden die Anforderungen an die Berichterstattung aus Lieferketten auch Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und Resilienz von KMU haben, da sie erhebliche Kapazitäten weg vom nachhaltigen Geschäftsbetrieb und der Sicherung der Existenz hin zur Nachhaltigkeitsberichterstattung gegenüber ihren Kunden verlagern müssen.

Prinzipienorientierte, proportionale und praxisgerechte Orientierung


Ein für die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu schaffendes Rahmenwerk muss unbedingt prinzipienorientiert und proportional zur Unternehmensgröße ausgestaltet und anwendbar sein. Diese Differenzierung ist in der europäischen Finanzberichterstattung (Rechnungslegung) verankert und hat sich bewährt. Sie sollte daher auch für die Nachhaltigkeitsberichterstattung übernommen werden. Diese essenziellen Bedingungen sind in den Entwürfen aktuell nicht gegeben. Mit rund 400 Datenpunkten in der Berichterstattung (dies entspricht ca. 40 Prozent aller relevanten Informationen) verbleibt eine stattliche Anzahl offenzulegender Daten, die für alle Unternehmen verpflichtend sein soll, unabhängig von ihrer Unternehmensgröße und vom Ergebnis einer Wesentlichkeitsanalyse. Dies ist eine Verschärfung gegenüber den ursprünglichen Entwürfen. Die Anzahl verpflichtender Datenpunkte muss drastisch reduziert werden, damit auch kleinere Unternehmen die Berichtsanforderungen bewältigen können.

Darüber hinaus ist der Aufbau der Entwürfe sehr leserunfreundlich, da sich die vorgesehene Struktur innerhalb der vielen Dokumente mit diversen Einzelanforderungen, Querverweisen zu anderen Anforderungen, Referenzierungen auf externe Quellen etc. verliert. Ein Beispiel ist die in Anhang F des ESRS 1 dargestellte komplexe Wesentlichkeitsermittlung, die zudem unklar ist.

 

Alternative Nutzung von nationalen Berichtsstandards


Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die aktuell vorliegende Entwurfsfassung für Nachhaltigkeitsberichterstattungsstandards (wobei dies nur die ersten sind, weitere sollen bekanntlich noch folgen) nach wie vor umfangreich und schwer zu durchdringen ist. Es ist zu befürchten, dass die Umsetzung insbesondere bei mittelständischen Unternehmen nicht ohne Hinzuziehung von (Nachhaltigkeits-)Beratern möglich sein wird, einschließlich der damit einhergehenden Kosten sowie dem Aufbau erheblicher Kapazitäten. Hier besteht die große Gefahr, dass mittelständische Unternehmen zugunsten von Großunternehmen aus dem Markt gedrängt werden. Vor diesem Hintergrund sollte es nichtkapitalmarktorientierten und nur regional tätigen Unternehmen ermöglicht werden, alternativ zu den europäischen Vorgaben nationale Nachhaltigkeitsberichtstandards wie die des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) zu nutzen. Dadurch könnten alle Unternehmen unabhängig von ihrer Größe dem gemeinsamen Ziel hin zu mehr Nachhaltigkeit im Rahmen ihrer Möglichkeiten nachkommen.

Die Nachhaltigkeitsberichterstattung befindet sich derzeit stark im Fluss. Genossenschaften sollten sich aus diesem Grund über die aktuellen Entwicklungen informiert halten, zum Beispiel über ihre Verbände. Diese begleiten diese Entwicklungen aktiv und können sie daher entsprechend unterstützen.

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