Ein Beitrag von Patrick Heckler, Teilprojektleiter Mexiko-Stadt, Abteilung Internationale Beziehungen beim DGRV (Ausgabe 3/2025)
In den ersten beiden Teilen unserer Reihe zur Rolle von genossenschaftlichen Finanzinstituten in Ländern des Globalen Südens haben wir die Aufgaben und Funktionen von Spar- und Kreditgenossenschaften im südlichen Afrika – sogenannte „SACCOs“ (Savings and Credit Cooperatives) – beleuchtet. Sie bieten dort Menschen mit mittlerem und niedrigem Einkommen einen Zugang zu Finanzdienstleitungen zu fairen Konditionen und ermöglichen so wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe. Darüber hinaus sind überraschenderweise gerade die SACCOS eine treibende Kraft für die Digitalisierung des Finanzsektors, da sie die Effizienz und Kostenersparnis von digitalisierten Prozessen nutzen, um für ihre Mitglieder Mehrwerte zu schaffen und wettbewerbsfähig zu bleiben.
Im dritten und letzten Teil wechseln wir den Kontinent und werfen einen Blick auf den genossenschaftlichen Finanzsektor in Mexiko. Dieser hat bisher nur einen Marktanteil von etwa ein Prozent der Bilanzsumme. Doch trotz seiner geringen Größe sind es gerade Spar- und Kreditgenossenschaften (SKG), die in ländlichen Gebieten von großer Bedeutung sind. Traditionelle Geschäftsbanken scheuen oft den Aufwand, dort präsent zu sein. Demensprechend sind Menschen in diesen Regionen oftmals nicht Teil des formellen Finanzsystems und nutzen informelle Angebote zur Geldverwaltung oder Kreditaufnahme. Ein Beispiel wäre die traditionelle „Tanda“. Dabei trifft sich eine Gruppe von Personen regelmäßig, um Geld in einen gemeinsamen Pool einzuzahlen, der dann reihum an ein Mitglied ausgezahlt wird. Dieses System ist jedoch sehr anfällig für Missbrauch.
Deshalb ist die SKG in diesen Gegenden oftmals der einzige Zugang zum formellen Finanzsystem. Nicht zuletzt durch erfolgreiche Projekte wie unsere Zusammenarbeit mit dem FOCOOP (vergleichbar mit der BAFIN), dem nationalen Dachverband der SKG CONCAMEX und den SKG ist es gelungen, die Ersparnisse der Mitglieder sicherer zu machen und den Zugang zu wettbewerbsfähigen Finanzprodukten zu gewährleisten. Hierzu haben insbesondere die für den lateinamerikanischen genossenschaftlichen Finanzsektor entwickelten Software-Tools des DGRV zur Risikoanalyse oder finanziellen Planung einen entscheidenden Beitrag geleistet. Und nicht nur das: Ähnlich wir bei der Digitalisierung im südlichen Afrika fördern die Genossenschaften Innovationen im Finanzsektor: Sie treiben in Lateinamerika das Thema Green Finance voran – und unterstützen damit ein Finanzsystem, dass nicht nur wirtschaftlich, sondern ebenso ökologisch und sozial nachhaltig ist. Eine Zielsetzung, die nach Auffassung der Vereinten Nationen von globalem Interesse ist.
Mitarbeitende der SKG Apaseo el Alto und des DGRV
Die Frage drängt sich auf: Warum setzen gerade Finanzinstitute in Regionen mit vergleichsweise geringen wirtschaftlichen Ressourcen auf ein Konzept wie Green Finance – ein Thema, das hierzulande oft noch als Zukunfts- oder „Luxusfrage“ betrachtet wird? Die Antwort ist so einfach wie eindrücklich: Klimarisiken sind auch finanzielle Risiken. Dies wird Menschen in Regionen der Welt, die davon bereits stärker betroffen sind als auf der Nordhalbkugel, schmerzlich bewusst. Als Genossenschaften, die den Interessen der Mitglieder durch ihren Förderauftrag direkt verpflichtet sind, ist ein nachhaltiger Ansatz zweckmäßig, um die negativen Folgen der Klimakrise für die Mitglieder abzumildern und ihnen langfristig und sicher Finanzdienstleistungen bereitstellen zu können.
Wie sieht aber nun ein Finanzsystem aus, das diese wichtige Erkenntnis berücksichtig? Das Konzept von Green Finance umfasst drei Säulen:
Ökologischer Fußabdruck der Finanzinstitution: Dies beinhaltet den CO2-Ausstoß, Wasser- und Papierverbrauch sowie den allgemeinen Ressourcenverbrauch.
Berücksichtigung von Umwelt-, Sozial- und Klimarisiken im Risikomanagement: Finanzinstitutionen müssen diese Risiken in ihre Risikobewertungen einbeziehen.
Vergabe von grünen Krediten: Kredite gelten als grün, wenn sie aktiv zur Verbesserung des Klimas oder der Umwelt beitragen.
Basierend auf diesen Säulen hat der DGRV in Zusammenarbeit mit den SKG in Mexiko zwei Software-Tools entwickelt: SARAS und MicroScore Verde. SARAS unterstützt die Genossenschaften dabei, Umwelt- und Sozialrisiken in ihr Risikomanagement einzubeziehen. Es kategorisiert Kredite nach ihrem Einfluss auf die Umwelt in drei Kategorien: Grün (unbedenklich), Orange (gewisser Umweltimpact, aber mit Maßnahmen kontrollierbar) und Rot (hoher Umweltimpact, sollte nicht finanziert werden). Das MicroScore Verde unterstützt bei der Analyse, ob ein Kredit als „grün“ eingestuft werden kann oder nicht. In E-Learning Kursen wird zudem das Genossenschaftspersonal dafür sensibilisiert, welchen konkreten Impact die SKG auf die Umwelt hat und welchen Nutzen nachhaltige Finanzen für die lokale Wirtschaft haben (werden).
Ein Beispiel: Die SKG Apaseo el Alto im Bundesstaat Guanajuato
Ein wegweisendes Beispiel für die Umsetzung nachhaltiger Finanzpraktiken ist die SKG Apaseo el Alto im Bundesstaat Guanajuato. Sie ist die erste SKG in Mexiko, die das vom DGRV entwickelte Software-Tool SARAS zur Integration von Umwelt- und Sozialrisiken in ihr Risikomanagement einsetzt. Durch die frühzeitige Einführung konnte die Genossenschaft nicht nur ihre Kreditvergabe umweltbewusster gestalten, sondern auch bei ihren Mitgliedern das Bewusstsein für ökologische und soziale Nachhaltigkeit stärken. Die SKG Apaseo el Alto gilt damit als Vorreiterin im Bereich Green Finance in Mexiko und hat mit ihrer offenen Haltung gegenüber Innovationen den Weg für weitere Genossenschaften in Mexiko bereitet.
Eine weitere Erfolgsgeschichte ist die Zusammenarbeit der SKG mit dem Fintech Startup Agroclimatica aus Dänemark. Es stellt eine Plattform zur Verfügung, die es den SKG mit Hilfe von hinterlegten Boden- und Klimadaten ermöglicht, das Klimarisiko eines Agrarkredits einzuschätzen. Das wird insbesondere in Gegenden, die bereits jetzt vom Klimawandel stark betroffen sind, immer wichtiger, um Risiken eines Ernteausfalls und damit eines Kreditausfalls vorzubeugen. Mit Hilfe der GPS-Daten der Anbaufläche vergleicht die Plattform die vorherrschenden Standortbedingungen (Bodenbeschaffenheit, Niederschlagsmenge, Temperatur, Höhenlage etc.) mit den Standortanforderungen des anzubauenden Agrarprodukts. Stimmen Standortbedingungen mit Standortanforderungen überein, gibt die Plattform grünes Licht für den Agrarkredit. Werden Differenzen festgestellt, wie etwa, dass das anzubauende Agrarprodukt mehr Wasser verbraucht als die Niederschlagsmenge hergibt, weist die Plattform auf das konkrete Risiko hin. Sie bietet dann Vorschläge zur Risikoreduktion bzw. schlägt alternative Anbauprodukte vor, die an die vorherrschenden klimatischen Bedingungen besser angepasst sind und einen höheren Ertrag versprechen. Damit ist es sowohl für den Landwirt als auch die SKG eine Win-Win-Situation.
Ein mexikanischer Landwirt bei der Färbung geflochtener Körbe
An dieser Stelle kommt auch die GESTE – Genossenschaftliche Stiftung für Entwicklungszusammenarbeit mit ins Spiel. Eine Finanzierung der GESTE hat im Jahr 2021 die Durchführung einer Pilotphase für SKG in Ecuador ermöglicht. Mittlerweile ist Agroclimatica in mehreren Ländern Lateinamerikas aktiv.
Ein konkretes Beispiel ist Pedro, ein Landwirt aus Michoacán, der traditionell Avocados anbaute. Die Analyse seiner Anbaufläche durch Agroclimatica zeigte jedoch, dass steigende Temperaturen und sinkende Niederschläge das Risiko eines Ernteausfalls deutlich erhöhen. Die Plattform empfahl als Alternative den Anbau von Nopal (Kaktusfeige). Die Pflanze ist hitze- und trockenresistenter. Pedro stellte um – mit Erfolg: Die neue Kultur passt besser zu den lokalen Bedingungen, seine Erträge stiegen und die SKG konnte den Kredit mit geringerem Ausfallrisiko vergeben.
Auch wenn Software-Tools wie SARAS sehr hilfreich bei der Umsetzung von nachhaltigen Finanzpraktiken sind, steht der genossenschaftliche Finanzsektor vor weiteren Herausforderungen. Gerade in ländlichen Regionen sind viele Genossenschaften technologisch nicht auf dem neuesten Stand. So ist die Nutzung moderner Software-Tools oft eine Herausforderung. Natürlich wirkt sich dieser Aspekt auch in anderen Bereichen negativ auf ihre Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit aus. Eine Besonderheit des genossenschaftlichen Finanzsektor in Lateinamerika ist außerdem, dass hier das Regionalprinzip keine Anwendung findet. Anstatt – wie wir es Deutschland kennen – zusammenzuarbeiten, machen sich die Genossenschaften oft gegenseitig Konkurrenz. Das schwächt ihre Position im Markt, zumal ihre Einflussmöglichkeiten bei dem noch geringen Marktanteil ohnehin schon eingeschränkt sind.
Sicher ist der Weg der SKG in Mexiko hin zu einer vollständigen Umstellung ihres Finanzsystems auf Green Finance noch weit. Dennoch können deutsche Genossenschaftsbanken sicherlich von den Erfahrungen der mexikanischen Genossenschaften lernen. Die Sensibilisierung für Nachhaltigkeitsthemen und das konkrete Einbeziehen von Umwelt- und Klimafaktoren in die Entscheidung, Finanzmittel zu Verfügung zu stellen, ist entscheidend, um zukünftige Herausforderungen durch den Klimawandel zu bewältigen – für einzelne Unternehmen ebenso wie für die Gesellschaft. Auch die Kompetenz, genossenschaftliche Unternehmen dabei zu beraten, auf nachhaltige Praktiken oder Rohstoffe umzusteigen, wäre im Sinne der Mitgliederförderung ein wichtiger Aspekt im Portfolio einer jeder Genossenschaftsbank.
Die Beispiele aus Mexiko zeigen eindrücklich, dass internationale Kooperation keine Einbahnstraße ist. Sie ist ein wechselseitiger Lernprozess, bei dem Ideen, Instrumente und Perspektiven in beide Richtungen fließen. Während deutsche Genossenschaftsbanken ihre Nachhaltigkeitsstrategien oft regulatorisch getrieben entwickeln, entstehen im Globalen Süden praxisnahe Lösungen, die konkrete Umwelt- und Klimarisiken direkt adressieren. Solche Ansätze können auch in Deutschland wichtige Impulse geben: Das Beispiel aus Mexiko zeigt, dass sich ökonomische und ökologische Bewertungen nicht ausschließen müssen, sondern Hand in Hand gehen können. Und es zeigt, dass umweltfreundliche und nachhaltige Praktiken und Entscheidungen bei verantwortungsbewussten Unternehmen auch ohne strenge Regularien verfangen.
Zugleich ist internationale Kooperation ein wichtiges Instrument, um unser aller Zukunft zu gestalten. Denn der Klimawandel kennt keine Grenzen. Umweltbedingte Risiken in einem Teil der Welt – etwa
Ernteausfälle, Wasserknappheit oder soziale Instabilität – haben globale Auswirkungen: auf Lieferketten, Migration, Rohstoffpreise oder geopolitische Sicherheit. Eine resiliente, nachhaltige Entwicklung im Globalen Süden dient deshalb direkt den Interessen der entwickelten Länder.
Bei der Gestaltung von nachhaltigen Entwicklungen können Genossenschaften zu Schlüsselakteuren werden – weltweit und für alle Seiten. Ihre enge Verankerung in der Gesellschaft, ihr demokratisches Prinzip und ihre langfristige Ausrichtung machen sie zu idealen Treibern für eine Entwicklung, die ökonomische, soziale und ökologische Ziele miteinander vereint.
Wie SACCOs sie vorantreiben
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