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Genossenschaftliche Finanzinstitute für eine nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit: II. Digitalisierung


Ein Beitrag von Aljoscha Warych, Projektmanager im südlichen Afrika, Abteilung Internationale Beziehungen beim DGRV


Im ersten Teil dieser Reihe ging es um Spar- und Kreditgenossenschaften – im südlichen Afrika als „SACCOs“ (Savings and Credit Cooperatives) bekannt – und deren wichtiger Rolle bei der finanziellen Inklusion insbesondere Menschen mit mittlerem und niedrigem Einkommensniveau vielen Ländern des „globalen Südens“, was wiederum eine weit über die eigentliche Finanzdienstleistung hinausgehende Wirkung hat.

Im zweiten Teil unserer Reihe widmen wir uns der Frage, wie SACCOs die Digitalisierung vorantreiben, um für ihre Mitglieder Mehrwerte zu schaffen und wettbewerbsfähig bleiben – gerade auch für junge Menschen. Auch die wichtige Rolle, die Verbände dabei spielen können und vielleicht auch müssen, werden wir näher beleuchten.

Herausforderungen bei der Unternehmens-
führung


Bei allen Stärken der SACCOs und der großen positiven Wirkung, die sie entfalten, stehen sie im südlichen Afrika auch vor einigen Herausforderungen: Wie stellen die SACCOs sicher, dass die genossenschaftlichen Prinzipien nicht nur auf dem Papier existieren? Wie sorgen die Genossenschaften dafür, dass die Spareinlagen der Mitglieder sicher sind und in ihrem Sinne verwendet werden? Wie können Prozesse und interne Richtlinien so gestaltet und umgesetzt werden, dass das für das SACCO-Modell so essentielle Vertrauen der Mitglieder geschaffen und gestärkt wird? Wie kann die ausreichende Qualifikation von Aufsichtsrat und Management gesichert werden, um tragfähige Unternehmensstrategien nicht nur zu beschließen, sondern auch umzusetzen?

Die Zusammenarbeit auf Augenhöhe bei der Bewältigung dieser und ähnlicher Herausforderungen ist eine der Kernkompetenzen der internationalen Projektarbeit des DGRVs. Durch die Stärkung genossenschaftlicher Strukturen vor Ort – in enger Zusammenarbeit mit lokalen Partnern – werden Genossenschaftssektoren nachhaltig gestärkt. Nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ werden sie in die Lage versetzt, eigenständig und nachhaltig erfolgreich Mehrwerte für ihre Mitglieder zu schaffen. Im südlichen Afrika (sowie in anderen Regionen) wird die Bewältigung der Herausforderungen durch eine noch wenig ausgeprägte Digitalisierung erschwert. SACCOs und auch Dachverbände arbeiten größtenteils analog und nutzen nur rudimentäre digitale Lösungen wie Excel und E-Mail, was sich negativ auf Effizienz und Transparenz auswirkt. Wenn etwa jede Arbeit an der Strategie das Zusammenkommen von Aufsichtsrat und Management erfordert, erzeugt dies nicht nur enorme Kosten, sondern verlangsamt auch den Arbeitsfortschritt stark. Zudem ist ohne geeignete Tools ein kollaboratives Arbeiten und Nachhalten der Fortschritte schwierig. Darunter leidet die Transparenz der Prozesse und Entscheidungen und auch der Informationsfluss ist zäh und selektiv. Nicht zuletzt schaffen digitalisierte Prozesse Vertrauen, da sie Veruntreuung bzw. den Diebstahl von Geldern deutlich erschweren.

Ein Kreditantrag wird auf Papier eingereicht, um dann in das Mambusystem übertragen zu werden.

Herausforderungen auf Seiten des Mitglieds


Obwohl die SACCOs für ihre Mitglieder den so wichtigen Zugang zu Finanzdienstleistungen deutlich verbessern und für viele – insbesondere im ländlichen Raum – überhaupt erst schaffen, ist dieser Zugang dennoch oft stark eingeschränkt. Denn die SACCOs arbeiten teilweise noch vollständig analog – mit Stift und Papier. Was kann das für ein Mitglied praktisch bedeuten?

Versetzen wir uns in Njabulo, einen 28-jährigen Mitarbeiter der großen Zuckerraffinerie im nördlichen eSwatini. Wir verdienen ein geregeltes Einkommen, welches zu einem bescheidenen Leben für uns und unsere vierköpfige Familie ausreicht. Wie schon unser Vater sind auch wir Mitglied des Saphumula-SACCO, welches für alle Mitarbeiter der Raffinerie wie auch deren Angehörige offen ist. Da das Saphumula-SACCO nicht direkt an das nationale Zahlungssystem angeschlossen ist, haben wir auch ein Konto bei einer kommerziellen Bank, falls wir einmal Geld auf ein anderes Bankkonto überweisen müssen.

Für die meisten Finanzdienstleistungen nutzen wir jedoch unser SACCO – dort sind die Gebühren viel niedriger und die Zinsen deutlich vorteilhafter als bei den kommerziellen Banken. Außerdem erhalten wir dort jedes Jahr eine ansehnliche Dividende auf unsere Genossenschaftsanteile. Allerdings müssen wir für diese Vorteile einiges auf uns nehmen. Unser SACCO arbeitet noch vollständig analog aus der einzigen Niederlassung heraus, welche ca. 15 km von unserem Wohnort entfernt ist. Die Taxifahrt dorthin kostet uns ganze 8 Euro – fast ein ganzer Tageslohn. Alle paar Monate nehmen wir das auf uns, damit der freundliche Kundenberater unsere gelben Sparbücher – wir haben immerhin 3 verschiedene Sparkonten; ein allgemeines, eines für die Schulgebühren der Kinder und eines für die Weihnachtsfeiertage – aus dem Sicherheitsschrank holen kann und uns die aktuellen Kontostände zeigt. Ein kurzer Einblick in die Sparbücher muss reichen, viel Gelegenheit, um sich damit auseinanderzusetzen, wie die Kontostände zu Stande kommen, gibt es nicht.

All das kommt uns zwar nicht mehr zeitgemäß vor –die kommerzielle Bank hat schließlich eine moderne App und ein Großteil unseres sozialen Lebens findet auf unserem Einsteiger-Smartphone statt – jedoch sind wir bereit, das in Kauf zu nehmen. Denn bei der kommerziellen Bank bekommen wir mit unseren Kleinstbeträgen überhaupt keine Zinsen, geschweige denn eine Dividende und werden als Kunde spürbar anders behandelt als beim SACCO, wo wir Mitglied und damit Miteigentümer sind.

Nun aber trifft uns ein Schicksalsschlag: Heftige Stürme haben unser Haus stark beschädigt und die nahende Regenzeit verlangt schnelles Handeln, auch wenn die Reparatur stolze 1.500 Euro kosten soll. Unsere kommerzielle Bank winkt ab: Zu geringes Einkommen, keine Sicherheiten – unser Haus steht auf traditionellem gemeinschaftlich genutzten Stammesland und kann nicht besichert werden. Im Dorf gibt es noch einen privaten Geldverleiher. Der würde sich freuen, uns Geld zu leihen, und macht uns ein „Sonderangebot“ mit einem Zinssatz von 20% – pro Monat.

Die bessere Alternative tut sich beim Termin bei unserem SACCO auf. Dort stellt sich heraus, dass wir immerhin 700 Euro Ersparnisse haben. Die nutzen wir als Sicherheit für den benötigten Kredit, den wir hier für 1,3% Zins pro Monat erhalten. Allerdings wird das noch etwas dauern: Der Kreditantrag muss durch den Kreditausschuss – der tagt alle 2 Wochen am Mittwoch, damit die Fahrt- und Essenskosten für den Ausschuss nicht allzu hoch werden. Hier müssen wir also noch fast zwei Wochen auf die Auszahlung warten. Wir bekommen das Geld schlussendlich gerade noch rechtzeitig, spielen aber nach dieser Erfahrung mit dem Gedanken, zu einem Anbieter zu wechseln, der eine einigermaßen moderne Lösung anbietet – zur Not auch ohne Genossenschaft.

Digitale Lösungen – Unumgänglich, aber voller Chancen


Die Chancen, die die Digitalisierung für Genossenschaften und auch deren Mitglieder bietet, liegen auf der Hand. Doch an Umstellungsprozessen und Anfangsinvestitionen kommt man nicht vorbei – wie sehr das die Digitalisierung bremsen kann, kennen wir nur zu gut aus Deutschland. Dabei sind nebst den Chancen auch die Gefahren, die in einer fehlenden oder mangelhaften Digitalisierung liegen, offensichtlich. Gerade im Finanzsektor fallen analoge Genossenschaften durch nicht realisierte Effizienzgewinne schnell hinter Mitbewerber am Markt zurück und werden schließlich wirtschaftlich nicht mehr tragfähig. Dazu kommen – selbst in Entwicklungsländern – steigende regulatorische Anforderungen, die Digitalisierung nahezu erzwingen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die international zu beobachtende Gefahr überalternder Mitglieder in Genossenschaften. Zu diesem Umstand trägt auch bei, das analoge Lösungen insbesondere für junge Menschen im Grunde keine Option mehr sind. Der Wettbewerb um junge Menschen – ob als Mitglied oder Mitarbeiter – ist analog nicht länger zu gewinnen. Doch was tun als kleines SACCO mit einigen hundert Mitgliedern, wenn die Digitalisierung doch selbst für große Genossenschaftsbanken im „globalen Norden“ mit immensen Anstrengungen und Investitionen verbunden ist?

Gehen wir zurück zu Njabulo und seinem SACCO – Saphumula – welches die Zeichen der Zeit erkannt hat. Der Manager des SACCOs – gleichzeitig der einzige Mitarbeiter des 800 Mitglieder starken SACCOs – schaut sich im Internet nach Lösungen um, winkt jedoch schnell ab: Selbst die günstigsten Lösungen kosten weit über 10.000 Euro, ganz zu schweigen vom laufenden Support, den er unbedingt brauchen wird – schließlich hat er kein IT-Fachpersonal zur Verfügung. Also heißt es, nach anderen Lösungen zu suchen. Zum Glück ist Saphumula Mitglied des eswatinischen Dachverbandes der SACCOS, ESASCCO. ESASCCO hat den Bedarf früh erkannt und ist Lizenznehmer eines der modernsten Cloud-basierten Kernbankensysteme, Mambu. ESASCCO bietet den Zugang zum Mambu-System für SACCOs in eSwatini, aber auch in Südafrika und Lesotho an. Dadurch kann es die Kosten für Lizenz, Mitarbeitende und Entwicklungen auf eine große Zahl von mittlerweile weit über 20.000 Genossenschaftsmitgliedern umlegen. Da sich das System für jedes SACCO individuell anpassen lässt, wird es somit auch für kleine SACCOs wie Saphumula zugänglich – und das zu einem Bruchteil der Kosten, die Saphumula als „Einzelkämpfer“ zahlen müsste. Ganz nach dem Motto „Was einer alleine nicht schafft, das schaffen viele“. Dabei wirkt sich die Digitalisierung auf vielfältige Art und Weise und verschiedenen Ebenen positiv aus.

Projektmanager Aljoscha Warych bei einem Treffen mit Vertretern von Mambu und ESASCCO in den Mambu-Headquarters

Die Rolle des DGRV – Herausforderungen in der Digitalisierung meistern


Die Unterstützung von ESASCCO durch den DGRV bei der Bereitstellung und Weiterentwicklung des Mambu-Systems im Rahmen des BMZ finanzierten DGRV-Projektes im südlichen Afrika begann bereits bei der Begleitung des Auswahlprozesses eines geeigneten Kernbankensystems.

Die anfangs geringe Anzahl von SACCOs und damit Endnutzern des Systems machten – wie in so vielen klassischen Gründungsphasen – eine Kostendeckung unmöglich. Hier hat der DGRV durch Beratung zur Erreichung eines stabilen Wachstumskurses und Finanzhilfen für die Überbrückung der ersten Jahre bei der Etablierung des Mambu-Systems und damit verbundener Angebote beigetragen. Dabei wurde die finanzielle Unterstützung sukzessive zurückgefahren – ganz im Sinne einer nachhaltigen Entwicklungszusammenarbeit. Die zielt schließlich darauf ab, Partner wie ESASCCO zur Selbstständigkeit zu führen, nachhaltig zu stärken und langfristige Abhängigkeiten gegenüber beispielsweise. dem DGRV zu vermeiden. So trägt ESASCCO mittlerweile die Lizenz- und Personalkosten für den Kerngeschäftsbetrieb selbstständig. Mittlerweile fokussiert der DGRV sich bei seiner Unterstützung auf Strategieentwicklung und -beratung sowie die Entwicklung neuer technischer Integrationen wie etwa einer eigenen App. In den kommenden Jahren sollen außerdem in Lateinamerika erprobte digitale Tools etwa zur Strategieplanung und -implementierung oder zur Einführung nachhaltiger Geschäftsprozesse für SACCOs und andere Genossenschaften transferiert werden. Dadurch sollen auch die Digitalisierungsangebote der Dachverbände deutlich verbessert werden. Besonders wichtiger Teil der Arbeit des DGRVs in diesem neuen regionalen Kompetenzzentrum für Digitalisierung wird dabei weiterhin die Unterstützung bei Schulungsangeboten rund um die digitalen Tools und Angebote sein. Dabei gilt es die Besonderheiten von Genossenschaften zu berücksichtigen und gleichzeitig für die Zielgruppe ansprechende Angebote zu erstellen.

Fazit


Für die Mitglieder der Genossenschaft ist der Mehrwert häufig sehr direkt erlebbar. Denken wir beispielsweise noch einmal an Njabulo. Da sein SACCO nun moderne Systeme nutzt, stehen Njabulo zusätzliche Funktionen bei niedrigeren Kosten zur Verfügung. Durch den digitalen Zugang stehen ihm alle wichtigen Informationen, wie etwa Kontostände, jederzeit und überall zur Verfügung. Überweisungen und Zahlungen, aber auch die Beantragung von Krediten oder die Anmeldung zu Jahreshauptversammlung, sind rund um die Uhr verfügbar. Und Njabulo spart sich auch die Kosten für die Taxifahrt, die ihn immer ein kleines Vermögen gekostet hat. Dadurch wird die finanzielle Inklusion endlich auf 24 Stunden am Tag ausgeweitet. Dabei ist das System auf die lokalen Gegebenheiten angepasst, sodass der Zahlungs- und Geldverkehr, der beispielsweise zu beträchtlichen Teilen durch kleine Kioske abgewickelt wird, für Njabulo nun voll zugänglich ist.

Für die SACCOs liegen die Vorteile ebenfalls auf der Hand: Sie binden bestehende und werben neue Mitglieder, indem sie einen signifikanten Mehrwert schaffen und ein modernes Nutzererlebnis bieten. Neue Dienstleistungen und Produkte können schneller und effizienter entwickelt und bereitgestellt werden. Durch Automatisierung können entweder Kosten gesenkt oder die Betreuung der Mitglieder verbessert werden. Auch das Management des SACCOs wird durch schnell verfügbare und akkurate Daten in die Lage versetzt, schneller und bessere Entscheidung zutreffen sowie digital zusammenzuarbeiten. Besonders wichtig ist, dass moderne Systeme wie Mambu Transparenz und damit Vertrauen schaffen – die Geschäftsgrundlage einer jeden Bank.

Insgesamt ergeben sich dadurch eine verbesserte Finanzlage für die SACCOs und deren Mitglieder, was ganz direkt zur wirtschaftlichen Nachhaltigkeit des Genossenschaftssektors beiträgt. Denn durch die Bereitstellung von digitalen Lösungen durch Dachverbände werden genossenschaftliche Strukturen ganz unmittelbar gestärkt: Die Investitionen und laufenden Kosten für Digitalisierung der Genossenschaften verbleiben im genossenschaftlichen Wirtschaftskreislauf. Dachverbände können dabei Expertise und Know-How aufbauen, um den Genossenschaften und ihren Mitgliedern hochmoderne Angebote zu machen und gleichzeitig die Unabhängigkeit der Genossenschaften langfristig sichern.

Schlussendlich eröffnet ein digitalisierter und damit auch professionalisierter Sektor in der Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen neue Möglichkeiten. Bessere, aktuellere Informationen über den Genossenschaftssektor ermöglichen zielgerichtete und effizientere Förderung von Finanzgenossenschaften. Durch das – zu großen Teilen –  in der Digitalisierung begründete, gewachsene Vertrauen in die Verlässlichkeit und Kapazitäten des Sektors, steht in eSwatini der nächste große Schritt bevor: Die Etablierung einer genossenschaftlichen Zentralkasse, natürlich unter Nutzung moderner digitaler Systeme.

 

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