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Goodwill-Blase


Ein Beitrag von Prof. Dr. Andreas Haaker, CIIA, CEFA


Das Ganze ist oftmals mehr wert als die Summe seiner Teile. Diese Weisheit trifft in der Regel auch auf das bilanzierte Vermögen eines Unternehmens zu. In der Bilanz werden die einzelnen Vermögensgegenstände (deutsche HGB-Rechnungslegung) oder die einzelnen Vermögenswerte (internationale Rechnungslegung nach internationalen Rechnungslegungsstandards, IFRS) erfasst, nicht aber die den Unternehmenswert bestimmenden Synergiepotenziale und die weiteren nicht bilanzierten immateriellen Vermögenskomponenten. Die dadurch entstehende Differenz zwischen dem Wert eines Unternehmens und den einzelnen Vermögenswerten abzüglich der Schulden bezeichnet man als Goodwill, also als Geschäfts- oder Firmenwert.

(Originärer) Goodwill = Unternehmenswert – (Vermögenswerte – Schulden)


Für einen durch den Aufbau von Wettbewerbsvorteilen selbst erschaffenen (originären) Goodwill besteht – wie nach den Regelungen des Handelsgesetzbuchs – auch in der internationalen IFRS-Rechnungslegung ein Aktivierungsverbot. Nur ein im Zuge eines Unternehmenszusammenschlusses (M&A) käuflich (mit-)erworbener (derivativer) Goodwill ist bilanziell zu berücksichtigen. Der derivative Goodwill ergibt sich aus Sicht des Unternehmenskäufers als Residualgröße, indem vom für das Unternehmen gezahlten Kaufpreis das miterworbene Nettovermögen (Vermögenswerte – Schulden) abgezogen wird.

(Derivativer) Goodwill = Unternehmenskaufpreis – (Vermögenswerte – Schulden)


Neben den bilanzrechtlichen und praktischen Schwierigkeiten der Abgrenzung des Nettovermögens (sog. Kaufpreisallokation) bestimmt die Höhe des Kaufpreises den Wertansatz des Goodwills. Ist dieser zu hoch bemessen (Überzahlung), wurde der durch Fehlinvestition entstandene Goodwill in der Vergangenheit (vor 2005) gleichsam automatisch durch die planmäßigen Goodwill-Abschreibungen im Zeitablauf korrigiert. Nur im Ausnahmefall war eine weitere Wertkorrektur mittels außerplanmäßiger Abschreibungen erforderlich. Dadurch wurde zudem der Tatsache Rechnung getragen, dass der ursprünglich derivativ erworbene Goodwill nach „Verbrauch“ durch einen neu entstandenen originären Goodwill ersetzt wird, der ja nicht aktiviert werden soll und darf (zum sog. Goodwill-Substitutionseffekt vgl. Andreas Haaker, Potential der Goodwill-Bilanzierung nach IFRS für eine Konvergenz im wertorientierten Rechnungswesen, Wiesbaden 2008, S. 371–375).

Seit 2005 untersagen die IFRS die planmäßigen Abschreibungen des Goodwills zugunsten eines jährlichen Wertminderungstests (sog. Impairment-only-Ansatz). Opportunistisch handelnde Vorstände börsennotierter Konzerne können somit entgegen den Aktionärsinteressen überteuerte Unternehmenskäufe vornehmen, ohne später die Gewinne mit planmäßigen Goodwill-Abschreibungen belasten zu müssen. Die Rechenschaftsfunktion der Rechnungslegung wird somit ausgehebelt. Schlimmer noch: Notwendige außerplanmäßige Abschreibungen können wegen der komplizierten Regelungen oft über Jahre verschleppt werden. Lassen sie sich dann am Ende nicht vermeiden, müssen die gesamten verschleppten Abschreibungen alle auf einmal vorgenommen werden. Zu diesem Zeitpunkt ist die wirtschaftliche Lage zumeist angespannt und die Abschreibung wirkt prozyklisch. Das für die überteuerte Unternehmensakquisition verantwortliche Management hat dann das Unternehmen zumeist schon verlassen.

Der Fehlanreiz des Impaiment-only-Ansatzes wird im Nachhinein offensichtlich. Wenn dem Management durch die Akquisition schon von vornherein planmäßige Abschreibungen des Goodwills „gedroht“ hätten, wäre der Kaufpreis weniger großzügig kalkuliert und im Zweifel auf die Fehlinvestition verzichtet worden. Die Aktionäre hätten kein Geld verloren und Arbeitsplätze wären nicht gefährdet worden.

Der Standardsetzer IASB hat dazu im März 2020 ein Diskussionspapier (Business Combinations – Disclosures, Good-will and Impairment) vorgelegt. Es wird zwar die Kritik am Impairment-only-Ansatz aufgegriffen, eine Rückkehr zur planmäßigen Abschreibung des Goodwills wird aber abgelehnt. Das erscheint grob fahrlässig, denn gerade in der Niedrigzinsphase, welche die Akquisitionstätigkeit und Übernahmepreise über die Möglichkeit des schuldenfinanzierten Unternehmenskaufs treibt, wirkt der Impairment-only-Ansatz wie ein Brandbeschleuniger bei der Destabilisierung des Finanzsystems.

 


Der DGRV – Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband hat kritisch zum IASB-Diskussionspapier (Business Combinations – Disclosures, Goodwill and Impairment) Stellung genommen. Die DGRV-Stellungnahme ist abrufbar unter: www.dgrv.de/news/bilanzierung-des-goodwill.

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