Ein Beitrag von Sina Papstein, stellvertretende Abteilungsleiterin Recht beim DGRV
Im April 2022 wurde der Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) veröffentlicht. Damit geht Deutschland verspätet eine Hausaufgabe aus Brüssel an. Ziel ist die Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden. Darüber hinaus erweitert der vom Bundesjustizministerium stammende Referentenentwurf den Schutz auch auf solche Hinweisgeber¹, die bestimmte Widersprüche zum deutschen Recht aufdecken. Die pünktliche Umsetzung der EU-Richtlinie zum 17. Dezember 2021 scheiterte wohl aufgrund von Meinungsverschiedenheiten die Reichweite des Umsetzungsgesetzes betreffend. Das daraufhin durch die Europäische Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland hat Schwung in die Angelegenheit gebracht. Beim jetzigen zweiten Versuch darf daher mit einem zügigen Inkrafttreten des HinSchG gerechnet werden. Zwar sind Änderungen des Gesetzentwurfs nicht auszuschließen, die Leitplanken aber sind klar. An der Auseinandersetzung mit dem neuen Gesetz führt kein Weg vorbei. Auch Genossenschaften kann es treffen.
Der Hinweisgeber oder „Whistleblower“ ist eine Person, die Missstände in Unternehmen oder auch Behörden meldet. Hierbei geht es allerdings weniger um den miserablen Kaffee aus dem Automaten, den fehlenden Betriebskindergarten oder den zu weiten Weg zum Parkplatz, sondern um konkrete Verstöße gegen geltendes Recht: Betriebsratsmitglieder werden mit Lustreisen nach Brasilien bedacht, Nahrungsmittel umetikettiert, Schwarzkassen geführt, der Sondermüll dem normalen Müll untergeschoben oder personenbezogene Daten unberechtigt weitergegeben.
Häufig bleiben solche Fehltritte unter dem Radar und sind weder für die Unternehmensleitung noch für zuständige Behörden erkennbar. Wohl aber für die, die am nächsten dran sind: die Mitarbeitenden im Unternehmen. In der Begründung des HinSchG betont der Gesetzgeber zu Recht, welche wichtige Rolle Hinweisgeber bei der Aufdeckung und Ahndung von Missständen spielen. Entscheiden sie sich, Licht ins Dunkel zu bringen, kann es jedoch ungemütlich für die Hinweisgeber werden. Mögliche persönliche Nachteile können daher von der Meldung abhalten.
Zwar wird ein Hinweisgeber in Deutschland auch jetzt schon durch die Rechtsprechung geschützt, aber ein klarer gesetzlicher Rahmen für zulässiges Whistleblowing fehlt bisher. Dass HinSchG soll diese Lücke nun schließen und nimmt die Privatwirtschaft und den öffentlichen Sektor in die Pflicht.
Das HinSchG schreibt den sogenannten Beschäftigungsgebern die Einrichtung eines Hinweisgeberverfahrens über eine interne Meldestelle vor. Zu den Beschäftigungsgebern zählen unter anderem juristische Personen des Privatrechts wie Genossenschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Aktiengesellschaften, die mindestens einen Mitarbeiter haben.
Haben private Beschäftigungsgebende in der Regel 250 Mitarbeitende oder mehr, müssen sie die interne Meldestelle bereits mit Inkrafttreten des Gesetzes (erwartet im Herbst 2022) eingerichtet haben. Private Beschäftigungsgebende mit in der Regel 50 bis 249 Mitarbeitenden müssen die Pflicht erst ab dem 17. Dezember 2023 erfüllen. Für bestimmte Unternehmen, z.B. Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Kapitalverwaltungsgesellschaften oder Kreditinstitute, gilt die Pflicht unabhängig von der Anzahl der Mitarbeitenden und ebenfalls mit Inkrafttreten des HinSchG, allerdings sind sektorspezifische Meldewege zu berücksichtigen.
Über die interne Meldestelle müssen eigene Beschäftigte des Unternehmens Verstöße gegen bestimmte Vorschriften melden können. Hierzu gehören jede Strafnorm nach deutschem Recht, aber auch Regelungen aus dem Bereich des Arbeitsschutzrechts, Vorgaben zur Bekämpfung der Geldwäsche sowie dem Umwelt-, Daten- und Verbraucherschutz dienende Vorschriften. Für den konkreten Fall ist ein Blick in den umfangreichen Katalog des § 2 HinSchG anzuraten.
Auch die Anforderungen an die interne Meldestelle werden im HinSchG näher festgelegt. Insbesondere sind Meldekanäle so zu gestalten, dass nur die für die Entgegennahme und Bearbeitung der Meldungen notwendigen Personen Zugriff auf die Informationen haben. Die Meldekanäle müssen Meldungen in mündlicher oder in Textform ermöglichen.
Der Verfahrensablauf ab Eingang einer Meldung ist im HinSchG im Einzelnen vorgeschrieben. Die interne Meldestelle bestätigt dem Hinweisgeber den Eingang einer Meldung nach spätestens sieben Tagen. Sie prüft, ob der gemeldete Verstoß unter das HinSchG fällt, hält mit dem Hinweisgeber Kontakt, prüft die Stichhaltigkeit der abgegebenen Meldung und holt gegebenenfalls beim Hinweisgeber ergänzende Informationen ein. Auch obliegt es ihr, Konsequenzen aus der Meldung zu ziehen (sog. Folgemaßnahmen). Hierüber muss die interne Meldestelle dem Hinweisgeber innerhalb von drei Monaten nach Bestätigung des Eingangs der Meldung eine Rückmeldung geben.
Es besteht keine Verpflichtung der Unternehmen, über die interne Meldestelle die Abgabe anonymer Meldungen zu ermöglichen. Ob sie diese Möglichkeit geben wollen, können Unternehmen frei entscheiden. Es ist aber in jedem Fall dafür zu sorgen, dass auf die Identität des Hinweisgebers nicht durch unberechtigte Personen zugegriffen werden kann (Vertraulichkeitsgebot).
Die zur Einrichtung der internen Meldestelle verpflichteten Unternehmen können eigene Mitarbeitende mit der Wahrnehmung der Aufgaben einer internen Meldestelle beauftragen. Es ist aber auch möglich, den Auftrag einem Dritten, z. B. einer Rechtsanwaltskanzlei, zu erteilen.
In Konzernen kann auch bei einer Konzerngesellschaft (z. B. Mutter-, Schwester- oder Tochtergesellschaft) eine interne Meldestelle eingerichtet werden, die als Dritte die Tätigkeiten der Meldestelle für die anderen Konzerngesellschaften übernimmt. Dies stellt die Gesetzesbegründung unter Berufung auf das konzernrechtliche Trennungsprinzip ausdrücklich klar. Der deutsche Gesetzgeber setzt sich dabei erfreulicherweise über die EU-Kommission hinweg, die der Meinung war, dass jede Konzerngesellschaft eine eigene interne Meldestelle installieren müsse.
Die Beauftragung eines Dritten entbindet das beauftragende Unternehmen aber nicht von seiner Verantwortung Maßnahmen zu ergreifen, um den Verstoß abzustellen und weiterzuverfolgen.
Unabhängig von den internen Meldestellen wird beim Bundesamt der Justiz eine zentrale Meldestelle eingerichtet. Diese zentrale Meldestelle ist als „Auffangstelle“ zuständig, soweit nicht eine andere externe Meldestelle (z.B. die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht oder das Bundeskartellamt) für diese Meldungen zuständig ist.
Die internen und die externen Meldekanäle stehen gleichwertig nebeneinander. Der Hinweisgeber kann frei wählen, an welche der beiden Meldestellen er sich wendet. Auch wenn er sich bereits an die interne Meldestelle gewandt hat, dort aber nicht gehört wurde, kann er sich im zweiten Schritt an eine der externen Meldestellen wenden.
Hat der Hinweisgeber im Rahmen des HinSchG intern oder extern Meldung erstattet, kann er sich auf den Schutz des Gesetzes berufen. Das HinSchG verbietet hier gegen den Hinweisgeber gerichtete Repressalien wie auch nur deren Androhung oder Versuch.
Das Repressalienverbot wird durch eine Beweislastumkehr ergänzt: Erleidet der Hinweisgeber nach einer Meldung eine Benachteiligung im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, wird vermutet, dass diese Benachteiligung eine Repressalie ist. Es obliegt dann dem Arbeitgeber zu beweisen, dass z.B. eine arbeitsrechtliche Maßnahme wie Abmahnung oder Kündigung, auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basiert, oder dass sie nicht auf der Meldung beruht.
Der Schutz des Hinweisgebers hängt nicht davon ab, welche Motive er mit seiner Meldung verfolgt.
Hat der Hinweisgeber die Informationen an die Öffentlichkeit weitergegeben, kann er sich nur im absoluten Ausnahmefall auf den gesetzlichen Schutz berufen. Die Ausnahme soll z. B. greifen, wenn eine externe Meldestelle nicht adäquat reagiert hat oder die Gefahr irreversibler Schäden besteht.
Unternehmen, die gegen das HinSchG verstoßen, z. B. keine interne Meldestelle einrichten oder einen geschützten Hinweisgeber mit Repressalien überziehen, können Bußgelder auferlegt werden. Unabhängig davon ist dem von den Repressalien betroffenen Hinweisgeber der daraus entstehende Schaden zu ersetzen.
Auch die wissentliche Weitergabe von unrichtigen Informationen an die Öffentlichkeit ist bußgeldbewährt. Zudem führt eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Falschmeldung dazu, dass der Hinweisgeber den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen hat.
Neue Pflichten als Chance im Kampf gegen Missstände
Das HinSchG wird in Kürze, vermutlich im Herbst 2022, in Kraft treten. Unternehmen mit 250 und mehr Mitarbeitenden müssen sich nun unmittelbar auf die neuen Pflichten einstellen. Gleiches gilt für Kreditinstitute und Co, wobei Sonderregelungen gelten. Aber auch Unternehmen mit 50 bis 249 Mitarbeitenden sind gut beraten, sich bereits jetzt auf die Umsetzung der ab dem 17. Dezember 2023 geltenden Pflichten vorzubereiten. Bei Verstößen gegen das HinSchG drohen Bußgelder und Schadensersatzforderungen. Unabhängig davon erhöht die Einrichtung eines internen Meldesystems die Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung und Ahndung von Missständen, was schließlich im Interesse eines jeden Unternehmens sein sollte.
¹Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.