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Stabilität im Finanzsystem


Ein Beitrag von PD Dr. Andreas Haaker (CIIA, CEFA), Referent Grundsatzfragen beim DGRV, für unser Fachmagazin PerspektivePraxis.


In Deutschland und den anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben kapitalmarktorientierte Unternehmen die Pflicht, ihren Abschluss nach internationalen Rechnungslegungsstandards aufzustellen. Hierfür gibt es unterschiedliche Standards, die vom International Accounting Standards Board (IASB) herausgegeben werden. In den internationalen Rechnungslegungsvorschriften, den International Financial Reporting Standards (IFRS), wurde der für Banken maßgebliche International Accounting Standard 39 (IAS 39) durch den International Financial Reporting Standard 9 (IFRS 9) mit dem Titel „Finanzinstrumente“ – ein über 200-seitiges „Bürokratiemonster“ – ersetzt. Im Monatsbericht 1/2019 nahm die Deutsche Bundesbank nunmehr zum „IFRS 9 aus Perspektive der Bankenaufsicht“ Stellung. Hierbei kritisierte sie u.a. „erhebliche Ermessensspielräume bei der Berechnung der erwarteten Kreditverluste“ (S. 81). Es stellt sich also die Frage, ob der neue Standard wirklich für mehr Stabilität im Kreditgeschäft sorgen kann.

Drei-Stufen-Modell


Einleitend greift die Deutsche Bundes-bank die Kritik am IAS 39 auf, nach der vor allem die Bildung von Wertberichtigungen zu gering und zu spät („too little, too late“) erfolge (S. 82). Der IFRS 9 führt ein besonders für Buchforderungen relevantes dreistufiges Wertberichtigungskonzept ein (s. Abbildung unten). Nach IAS 39 wurden gemäß dem „Incurred loss“-Modell nur eingetretene, also wirklich erlittene Kreditverluste erfasst. Im IFRS 9 bleibt das „Incurred loss“-Modell als dritte Stufe bestehen. Allerdings wird dieses um zwei Stufen zur Risiko-vorsorge ergänzt, die dem sogenannten „Expected loss“-Modell folgen. In diesen ersten beiden Stufen sollen einerseits die innerhalb von 12 Monaten erwarteten Kreditverluste und andererseits bei einem signifikanten Anstieg des Kreditrisikos die für die Restlaufzeit erwarteten Kreditverluste vorausberechnet werden. Die erste Stufe ist obligatorisch. Empirisch stellt die Deutsche Bundes-bank als Folge des Übergangs von IAS 39 auf IFRS 9 „für die deutschen Insti-tute im Durchschnitt ein[en] moderate[n] Anstieg der Wertberichtigungen um knapp 6 % sowie ein[en] Rückgang der harten Kernkapitalquote um 11 Basis-punkte“ fest (S. 81). Das für die Bankenaufsicht wesentliche Problem, ob „langfristig Anpassungen in der regulatorischen Behandlung von Wertberichtigungen notwendig sind, wird erst auf Basis belastbarer Daten zu bewerten sein“ (ebd.).

Erhebliche Ermessensspielräume


Eine weitere Kritik am IAS 39 war der Vorwurf, die Regelungen seien „zu komplex und wenig prinzipienbasiert“ (S. 82). Von weniger Komplexität und mehr Prinzipienorientierung kann beim IFRS 9 allerdings kaum die Rede sein. Die konstatierte „Methodenfreiheit“ (S. 87) bei der Ermittlung der Höhe der Wertberichtigung bedeutet im Ergebnis auch Ermessensspielraum für die berichterstattende Bank. Methodenfreiheit herrscht auch bei der „Identifikation“ eines signifikanten Anstiegs des Kreditrisikos bei der Übertragung des erwarteten Verlustes von 12 Monaten auf die Restlaufzeit. Das mit dem Wechsel von Stufe 1 (12-Monats-„Expected credit loss“ (ECL)) zur (Eskalations-)Stufe 2 (Laufzeit-ECL) verbundene und für die IFRS-Adressaten potenziell nützliche Signal einer Verschlechterung der Kreditqualität wird von den Ermessensspielräumen überlagert (S. 87 f.). Eine „(zweck-)optimistische“ Bank kann in vergleichbaren Situationen eine geringere Wertminderung ausweisen als ein „pessimistisches“ Kreditinstitut.

Stabilitätsprobleme des IFRS 9


Von den damit verbundenen Vergleichbarkeitsdefiziten sind nicht nur die primären IFRS-Adressaten, sondern auch die Bankenaufsicht betroffen, weshalb die „Umsetzung von IFRS 9 bei Kreditinstituten […] unter der besonderen Beobachtung durch die Bankenaufsicht“ steht, denn diese „hat ein Interesse da-ran, dass Kreditinstitute über geeignete Prozesse für die Bildung von angemessenen Wertberichtigungen verfügen“ (S. 88). Seitens der europäischen Auf-sicht wird eine inkonsistente Umsetzung mit Auswirkung auf zentrale aufsichtliche Kennzahlen befürchtet, der entgegengewirkt werden soll (ebd.). Das Chimärenhafte der international einheitlichen Bilanzierung in kulturell, wirtschaftlich und institutionell völlig unterschiedlichen Ländern wird dabei ignoriert. Die europaweit konsistente Umsetzung erscheint eher illusorisch. Datenprobleme kommen hinzu (ebd.). Die Aufsicht sieht hier „die Notwendigkeit einer ausreichenden Berücksichtigung von relevanten, angemessenen und tragbaren zukunftsgerichteten Informationen als wesentliche Komponente eines ECL-Konzeptes“, was in der „Verantwortung des Aufsichtsorgans und der Geschäftsleitung“ liegen soll (S. 91).

Ökonomische Konsequenzen


Rechnungslegungsänderungen – insbesondere bei bankenaufsichtsrechtlicher Relevanz – haben zumeist ökonomische Konsequenzen. Mögliche Stabilitätsbeeinträchtigungen durch den IFRS 9 betreffen die anreizbedingte Verkürzung der Laufzeiten im Kreditneugeschäft. So ist es laut der Deutschen Bundesbank denkbar, „dass Institute die Lauf-zeit ihrer Kredite verkürzen könnten, weil bei einer geringeren Laufzeit auch die bei einem signifikanten Anstieg des Kreditrisikos als Wertberichtigung zu erfassenden ‚Lifetime ECL‘ geringer ausfallen“ (S. 97). Andernfalls könnten Konjunktureinbrüche bei einer Vielzahl von Banken gleichzeitig zu systematischen Verschiebungen von der er-sten zur zweiten Wertberichtigungsstufe (also einem Übergang von 12-Monats- zum Laufzeit-„Expected loss“) führen, was Eigenmittel und Kreditvergabe vermindern würde (ebd.).

Keine Änderung des HGB erforderlich


Die Deutsche Bundesbank sieht keine „Notwendigkeit zur Änderung der einschlägigen Bilanzierungsregeln nach dem Handelsgesetzbuch (HGB)“, denn diese „beinhalten aufgrund des Vorsichtsprinzips und des Konzeptes der Bildung von Pauschalwertberichtigungen implizit schon die Möglichkeit zur Berücksichtigung zukunftsgerichteter Komponenten“ (Monatsbericht 1/2019, S. 81). Damit erkennt sie die im IFRS 9 nicht hinreichend berücksichtigte Bedeutung der kaufmännischen Vorsicht an, welche – im Gegensatz zu den IFRS – die Leitlinie der HGBRechnungslegung bildet (vgl. Haaker, DB 2016, S. 368).

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