Ein Beitrag der DGRV-Steuerabteilung für unser Fachmagazin PerspektivePraxis.
Der Begriff „Tax Compliance“ ist im Moment in aller Munde. Viele Artikel in Fachzeitschriften, ein Entwurf eines IDW-Prüfungsstandards – und viele Fragezeichen, wenn es um die konkrete Relevanz und Umsetzung für das eigene Unternehmen geht.
Tax Compliance umfasst im weitesten Sinne, dass ein Steuerpflichtiger, also die Genossenschaft, durch ihre gesetzlichen Vertreter und Mitarbeiter so aufgestellt ist, dass die steuerlichen Pflichten erfüllt werden. Dies umfasst beispielsweise die rechtzeitige, vollständige und zutreffende Abgabe von Steuererklärungen und Steueranmeldungen, aber auch die Erfüllung sonstiger steuerlicher Pflichten. Als gesetzlicher Vertreter muss der Vorstand einer Genossenschaft die Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch geeignete Maßnahmen und Kontrollen sicherstellen, auch wenn er die tatsächliche Ausführung z. B.an den Buchhaltungsleiter oder einen Steuerberater delegieren kann. Dies geht bis zur Haftung für nicht abgeführte Steuern seiner Genossenschaft (§ 69 AO), wenn der Vorstand nachweisbar vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm auferlegten Pflichten verletzt. In der Praxis sind fehlerfreie Steuererklärungen und Steuer Anmeldungen nie vollumfänglich zu erreichen. Es sollte also seitens der Genossenschaft al-les dafür getan werden, Fehler zu vermeiden und diese, wenn sie dennoch auftreten, kurzfristig zu beheben – und gegebenenfalls nötige Konsequenzen für die Arbeitsorganisation zu ziehen.
Mit Schreiben vom 23. Mai 2016 hat das BMF einen Anwendungserlass zu § 153 AO veröffentlicht. Dieser regelt die Verpflichtung des Steuerpflichtigen, das Finanzamt unverzüglich zu informieren, wenn er in einer Steuererklärung oder Steueranmeldung einen Fehler bemerkt, und diesen Fehler zu korrigieren. Die Berichtigung eines reinen Arbeitsfehlers ist somit über den § 153 AO abgedeckt. Schwierig ist allerdings die Abgrenzung einer solchen Korrektur von einer Selbstanzeige nach § 371 AO. Der Unterschied zwischen einem Arbeitsfehler und einer Steuerhinterziehung liegt allein im subjektiven Bereich: Handelte der Steuerpflichtige bei Abgabe der fehlerhaften Steuererklärung vorsätzlich oder nicht? Der Begriff der Steuerhinterziehung nach § 370 AO kennt keine „Bagatellfreigrenze“. Wenn der Tatbestand verwirklicht ist (vorsätzlich falsche Angaben an das Finanzamt, dadurch Steuerverkürzung) ist eine Steuerhinterziehung gegeben. Inwieweit diese verfolgt wird, steht auf einem an-deren, aber leider nicht berechenbaren, Blatt. Nach der Rechtsprechung des BGH kann ein „bedingter Vorsatz“ angenommen werden, wenn der Steuerpflichtige die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes für möglich hält und die Steuerhinterziehung billigend in Kauf nimmt. Informiert sich ein Kaufmann über die in seinem Gewerbe bestehen-den steuerrechtlichen Pflichten nicht, kann dies auf seine Gleichgültigkeit hin-sichtlich der Erfüllung dieser Pflichten hindeuten. Dadurch können auch ohne konkreten Hinterziehungsvorsatz die subjektiven Voraussetzungen einer straf-baren Steuerhinterziehung erfüllt sein. Im BMF-Schreiben ist nun zu lesen, dass ein vom Steuerpflichtigen eingerichtetes innerbetriebliches Kontrollsystem zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten gegebenenfalls ein Indiz darstellen kann, welches gegen das Vorliegen eines Vorsatzes sprechen kann. Jedoch ist immer der jeweilige Einzelfall zu prüfen. Im Umkehrschluss heißt dies, dass ohne ein solches innerbetriebliches Kontrollsystem der Vorwurf des bedingten Vorsatzes entstehen kann – die Genossenschaft also in Kauf genommen hat, dass die steuerlichen Pflichten nicht in Gänze erfüllt werden und sie keine Maßnahmen ergriffen hat, um dieses zu verhindern.
Ein Tax-Compliance-Management-System sollte sich durch das gesamte Unternehmen ziehen. Es ist in die Unternehmenskultur einzubinden und soll über die Definition von Zielen und die Analyse der individuellen Risiken in ein konkretes Programm mit Maßnahmen münden, welche dann zu implementieren sind. Dies muss entsprechend organisatorisch und kommunikativ begleitet werden, wobei sicherzustellen ist, dass die Mitarbeiter die an sie gestellten Anforderungen kennen und erfüllen können. Das gesamte System sollte laufend überwacht und bei Bedarf verbessert werden. Prozesse im Unternehmen sind also von Beginn an so zu strukturieren, dass steuerliche Pflichten vollständig und zeitgerecht erfüllt werden und steuer unehrliches Verhalten vermieden wird. Dazu gehört beispielsweise dass Kapitalertragsteueranmeldungen pünktlich erfolgen oder durch Steuerung der Arbeitsabläufe und Schulung der Mitarbeiter sichergestellt ist, dass Geschäftsvorfälle im umsatzsteuerlichen Sinne zutreffend erfasst werden. Dies erfordert präventive Maßnahmen, die verhindern sollen, dass Fehler überhaupt entstehen. Hier kann mit Hilfe von Checklisten, Vertretungs- und Unterschriftenregelungen, Berechtigungskonzepten bei EDV-Programmen und auch Organisations- und Dokumentationsanweisungen gearbeitet werden. Zudem sollen durch detektive Maßnahmen Fehler auffallen – also durch standardisierte Kontrollen im Prozess oder im Nachhinein. Hierzu gehören beispielsweise das Vier-Augen-Prinzip, Verprobungen, Plausibilitätskontrollen oder Stichproben. Bei all diesen Maßnahmen sollte sowohl dokumentiert werden, welche Maßnahmen zu welchen Zeitpunkten erfolgen sollen, als auch deren tatsächliche Durchführung (geordnete Ablage entsprechender Dokumente, Protokollierung von festgestellten Fehlern und der daraus gezogenen Konsequenzen).Kritisch wird es immer dann, wenn Fehler festgestellt und in der Folgezeit nicht vermieden werden. Klassisches Beispiel hierzu sind Feststellungen in einer Außenprüfung, welche Dauersachverhalte betreffen, aber nicht für die Zukunft angepasst werden: Hier ist der Genossenschaft ein Fehler im System bekannt, dieser wird aber offen-sichtlich ignoriert. Damit wird es schwer, eine vorsätzliche Handlung zu widerlegen (Vorsatz = Wissen und Wollen).Wesentliche Bereiche sind hier insbesondere die Steueranmeldungen (Lohnsteuer, Umsatzsteuer und Kapitalertragsteuer), da der Steuerpflichtige hier besonders große Sorgfaltspflichten hat. Ein besonderes Augenmerk verdienen auch die Umsetzung der GoBD, die Einhaltung steuerlicher Auf-zeichnungspflichten (z. B. bei Kassen-systemen) sowie die zutreffende Erfassung der nicht abziehbaren Betriebsausgaben (z. B. Bewirtung). Bei fehlenden Kontrollverfahren kann ein Betriebsprüfer zudem bei Fehlerfeststellungen argumentieren, dass es weitere derartige Fehler geben wird, und so im Rahmen einer Hochrechnung zu Hinzuschätzungen kommen.
Die Finanzverwaltung verfügt mit den oben genannten gesetzlichen Regelungen, Verwaltungsanweisungen und der hierzu ergangenen Rechtsprechung über scharfe Schwerter, um steuerunehrliches Verhalten zu sanktionieren. Wie dies zukünftig genutzt wird, wird – neben grundsätzlichen politischen Entscheidungen beispielsweise-se der Landesfinanzminister – auch weiter vom jeweiligen Außenprüfer abhängen. Ein Unternehmen ohne ein ausreichendes implementiertes inner-betriebliches Kontrollsystem sieht sich schnell dem Vorwurf der leichtfertigen Steuerverkürzung oder noch schlimmer der Steuerhinterziehung ausgesetzt, da Fehler bei der Erfüllung der steuerlichen Pflichten nie gänzlich ausgeschlossen werden können und fehlende Kontrollmechanismen als Gleichgültigkeit hinsichtlich der Pflichterfüllung ausgelegt werden könnten. Jede Genossenschaft sollte sich so auf-stellen, dass sie möglichst wenig angreifbar ist. Dazu gehören die Dokumentation des bestehenden innerbetrieblichen Kontrollsystems, die Ergänzung in Bereichen, in denen bisher noch keine ausreichenden Kontrollen durchgeführt werden, sowie die Dokumentation der entsprechenden durchgeführten Kontrollen. Wie dies genau aussehen kann, wird für jede Genossenschaft individuell unterschiedlich sein.