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Umsatzsteuer


Ein Beitrag von StB FBIStR Michael Schlang, LL.M. Abteilungsleiter DGRV-Steuerabteilung, für unser Fachmagazin PerspektivePraxis.


Die Bandbreite der Aufsichtsratsmitglieder reicht in der genossenschaftlichen Praxis von der ehrenamtlichen Tätigkeit, bei der eventuell flexible Aufwandsentschädigungen anfallen, bis hin zu fest vergüteten Posten. Nun stellt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) die bisher gängige Praxis der Umsatzsteuer auf die Entschädigung oder Vergütung der Tätigkeit im Aufsichtsrat in Frage. Der Beitrag aus der Steuerabteilung beleuchtet die Auswirkungen.

Gängige Praxis


Seit vielen Jahren ist es gängige Praxis der deutschen Rechtsprechung und Finanzverwaltung, die Mitwirkung in Aufsichtsräten als unternehmerische Tätigkeit im Sinne des § 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) zu qualifizieren (vgl. Abschnitt 2.2 Absatz 2 Seite 7 im Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE)). Hieraus folgt, dass die Entschädigungen oder Vergütungen an das jeweilige Aufsichtsratsmitglied für seine Tätigkeit stets umsatzsteuerbar sind.

Ob die Zahlungen tatsächlich steuerpflichtig sind, hängt unter anderem davon ab, ob das Aufsichtsratsmitglied von der Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG Gebrauch machen kann und möchte. „Kann“ bedeutet, dass im Vorjahr nicht mehr als 22.000 Euro und im Folgejahr nicht mehr als 50.000 Euro unternehmerischer Umsatz (inklusive Umsatzsteuer) generiert werden darf. „Möchte“ heißt, dass der Fiskus dem Steuerpflichtigen sodann die Wahl lässt, ob er seine Tätigkeit mit oder ohne Umsatzsteuer abrechnen will.


„Mandatsträger in Aufsichtsräten müssen zukünftig eventuell umdenken und ihre eigene Tätigkeit in Bezug auf die Unternehmereigenschaft auf den Prüfstand stellen. Eine Lösung sollte stets gemeinsam und in Absprache mit dem Unternehmen angestrebt werden.“


Für viele nebenamtlich tätige Aufsichtsratsmitglieder bietet die Kleinunternehmerregelung daher eine gute Möglichkeit, ihr Amt auszuführen, ohne mit dem Aufwand der Umsatzsteuervoranmeldungen belastet zu sein. Allerdings entfällt dann auch die Möglichkeit, die Vorsteuer auf die unternehmerische Tätigkeit erstattet zu bekommen.

Sowohl für das hauptamtliche bzw. mehrfach mandatierte Aufsichtsratsmitglied als auch für den ansonsten bereits unternehmerisch tätigen Aufseher ist die Umsatzsteuer jedoch regelmäßig ständiger Begleiter, sofern die Umsatzgrenze überschritten wird. Dies ist bislang unabhängig davon, ob eine fixe Vergütung, eine variable Vergütung oder eine Kombination abgerechnet wird.

Neue Rechtsprechung


Die bislang gängige Praxis wurde erstmalig im Jahr 2019 durch ein Vorlageverfahren vor dem EuGH in Frage gestellt. Der EuGH hatte in der Rechtssache „IO“ (C-420/18) über die Unternehmereigenschaft eines Aufsichtsratsmitglieds einer niederländischen Stiftung zu entscheiden. Das Aufsichtsratsmitglied, zugleich Kläger in dem Verfahren, erhielt für sein Mandat eine Fixvergütung.  Die Vergütung war nicht an bestimmte Handlungen oder die Teilnahme an Sitzungen geknüpft.

Der EuGH entschied hieraufhin mit Urteil vom 13. Juni 2019, dass der Kläger dann nicht selbstständig eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, wenn er

  • zwar weder dem Vorstand noch dem Aufsichtsrat hierarchisch untergeordnet ist,
  • jedoch nicht in eigenem Namen, für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung,
  • sondern für Rechnung- und unter Verantwortung des Aufsichtsrats handelt und
  • auch nicht das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit trägt.

Bezüglich des wirtschaftlichen Risikos befand der EuGH, dass die gezahlte feste Vergütung nicht ausreiche und demnach die wirtschaftliche Tätigkeit nicht selbstständig ausgeübt werde. Infolgedessen wurde auch die Umsatzbesteuerung der erzielten Einnahmen verneint. Paradox hieran erscheint die Tatsache, dass der EuGH nur deshalb zu einer Entscheidung kommen musste, weil die niederländische Finanzverwaltung sich ursprünglich anderen EU-Staaten angleichen und die Tätigkeit von Aufsichtsräten als unternehmerisch einstufen wollte. Erst hierdurch entstand das Vorlageverfahren.

Die Folgen dieses Urteils sind bis heute nicht abschätzbar. Offensichtlich war jedoch, dass das Urteil auch von Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union und dessen Gerichtsbarkeit nicht ignoriert werden konnte.

Und so ließ eine Folgeentscheidung des Bundesfinanzhofes (BFH) nicht lange auf sich warten. Mit Urteil vom 27. November 2019 (Aktenzeichen V R 23/19) entschied der fünfte Senat des BFH unter Hinweis auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des EuGH und unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung, dass auch ein deutsches Aufsichtsratsmitglied einer Aktiengesellschaft nicht unternehmerisch tätig wird, sofern es kein Vergütungsrisiko trägt. Dieser Auffassung liegt zu Grunde, dass ein Unternehmer nur dann selbstständig ist, wenn er das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit trägt und auf eigene Verantwortung handelt. Ausdrücklich offen gelassen hat der BFH jedoch, ob für den Fall, dass das Aufsichtsratsmitglied eine variable Vergütung erhält, an der Unternehmereigenschaft entsprechend bisheriger Rechtsprechung festzuhalten ist.

Die Konsequenzen für die Praxis


Die Auswirkungen der Entscheidungen des EuGH und des BFH werden bis heute in der Literatur rege diskutiert. Unklar erscheinen die Auswirkungen für die Praxis, denn bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe hat sich die Finanzverwaltung nicht zu der Einzelfallentscheidung des BFH aus 2019 geäußert. Sobald die Äußerung vorliegt, finden Sie die aktuelle Information auf unserer Internetseite. Die Unternehmen und Aufsichtsräte benötigen eine handhabbare Richtschnur, wie umsatzsteuerlich relevante von umsatzsteuerlich nicht relevanten Tätigkeiten eines Aufsichtsratsmitglieds abzugrenzen sind.

Der DGRV hat sich daher gemeinsam mit dem Deutschen Raiffeisenverband (DRV), dem MITTELSTANDSVERBUND – ZGV und dem Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) mit einem Schreiben an das Bundesministerium der Finanzen gewandt und um erläuternde Hinweise gebeten.

Möglich wäre, dass das BFH-Urteil mit einem Nichtanwendungserlass der Verwaltung belegt wird. Möglicherweise wird die Finanzverwaltung das Urteil aber auch rückwirkend anwenden. Bereits aus Praktikabilitätsgründen, aber auch aus Gründen der Rechtssicherheit für den Steuerpflichtigen, hat die Finanzverwaltung bislang in Fällen geänderter Rechtsprechung diese meist erst mit einer Übergangsfrist für die Zukunft angewendet.

So dürfte man aktuell auf der sicheren Seite stehen, wenn man die nach wie vor geltende Verwaltungsauffassung des UStAE beachtet und seine Leistungen gegenüber dem Unternehmen zuzüglich Umsatzsteuer abrechnet oder über eine entsprechende Gutschrift zuzüglich Umsatzsteuer abrechnen lässt.

Eines ist jedoch klar: Die neue Rechtsprechung hat dazu geführt, dass die Tätigkeiten eines Aufsichtsrats bzw. von dessen Mitgliedern zukünftig wohl differenzierter zu betrachten sind und es – je nach Ausprägung der Tätigkeit – unter Umständen einerseits unselbstständig tätige und andererseits selbstständig tätige Aufsichtsratsmitglieder geben wird. Weitere BFH-Urteile zu dieser Thematik werden folgen. Dies erschwert die pauschale Einordnung durch das Mitglied selbst, eröffnet dem ein oder anderen festvergüteten Aufseher über die Abwahl der Unternehmereigenschaft jedoch auch die Möglichkeit zur Gestaltung.

Fazit


Der Vorteil eines nichtunternehmerischen Aufsichtsrats liegt auf der Hand. Aufsichtsratsmitglieder setzen für ihre Tätigkeit oftmals wenige Mittel ein und haben daher nur einen eingeschränkten Vorteil aus dem Vorsteuerabzug. Zudem ließe sich der administrative Aufwand für die laufende Deklarationstätigkeit bei einem nichtunternehmerischen Mitglied vermindern. Ein möglicher Entfall der Umsatzsteuerpflicht käme insbesondere denjenigen Unternehmen zugute, die nur einen eingeschränkten oder keinen Vorsteuerabzug haben, z. B. Banken und Versicherungen oder sonstigen umsatzsteuerbefreiten Gesellschaften.

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