Ein Beitrag von Aljoscha Warych, Projektmanager im südlichen Afrika, Abteilung Internationale Beziehungen beim DGRV
So unterschiedlich die kulturellen und politischen Rahmenbedingungen sein mögen, die Finanzierung unternehmerischer Ideen, Investitionen und insbesondere die von Neugründungen ist regelmäßig eine Herausforderung, die Genossenschaften weltweit eint. So ist der Zugang zu Finanzierungslösungen, gerade auch in Ländern des globalen Südens, für viele Genossenschaften schlichtweg nicht gegeben – zumindest nicht zu tragfähigen Konditionen.
Diese Problematik ist auch Genossenschaften in Deutschland nicht unbekannt: Wer als Genossenschaft versucht, bei einer Groß- bzw. Privatbank einen Kredit zu bekommen, blickt nicht selten in fragende Gesichter. Die genossenschaftliche Rechtsform und daraus resultierende Besonderheiten, die regelmäßige Fokussierung auf die wirtschaftliche Förderung der Mitglieder (statt auf die Optimierung der Profite der Genossenschaft selbst) sowie eine sich aus genossenschaftlichen Prinzipien natürlich ergebende Ausrichtung auf Nachhaltigkeit sind für Groß- und Privatbanken ungewohnt. Kleine oder neu gegründete Genossenschaften trifft es noch härter: Der Kreditbedarf ist oft vergleichsweise gering, die entsprechende Finanzierung wirft für die Bank also wenig ab; fehlen nun noch Erfahrungen und Kenntnisse zu Genossenschaften, spitzt sich dieser Umstand durch erhöhten Prüf- und Bearbeitungsaufwand noch einmal zu. Diese Faktoren können den Zugang zu Kapital entscheidend erschweren.
In Deutschland – anders als in anderen Teilen der Welt – sind Genossenschaften jedoch nicht auf Groß- und Privatbanken angewiesen. Hier steht ihnen mit der genossenschaftlichen FinanzGruppe ein Partner zur Seite, der genauso genossenschaftlich organisiert ist wie sie selbst und Besonderheiten genossenschaftlicher Organisation, Finanzstrukturen und Geschäftsmodelle entsprechend versteht. Ein breit gefächertes Produkt- und Dienstleistungsangebot, welches dem der Großbanken in Nichts nachsteht, ermöglicht Genossenschaften jeder Couleur und Größe den Zugang zu passenden Finanzdienstleistungen. Starke Genossenschaftsbanken haben also nicht nur unmittelbaren Mehrwert für die Privatperson als klassisches Mitglied. Sie können darüber hinaus entscheidend zu einem starken Genossenschaftssektor insgesamt beitragen.
Im Rahmen einer Vielzahl von vorwiegend durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) über das Instrument der Sozialstrukturförderung finanzierten Projekten unterstützt die Abteilung Internationale Beziehungen (AIB) des DGRV weltweit Genossenschaften, deren Strukturen sowie Politik und Behörden. Ziel sind starke Genossenschaften, die eine aktive Beteiligung der Menschen vor Ort und damit eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen.
Die Erkenntnisse und Erfahrungen über die wichtige Rolle eines stabilen genossenschaftlichen Finanzsystems fließen direkt in diese Arbeit ein. In unserer Reihe „Genossenschaftliche Finanzdienstleistungen in der Entwicklungszusammenarbeit“ wollen wir die unterschiedliche Rolle und Mechanik der genossenschaftlichen Finanzsysteme in unseren Projektregionen beleuchten. Dabei ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, wie unterschiedlich stark Genossenschaftssysteme in verschiedenen Ländern entwickelt sind. In vergleichsweise weit entwickelten Genossenschaftssystemen kommt dem genossenschaftlichen Finanzsektor eine vergleichbare Rolle wie in Deutschland zu: Orientiert an den Interessen der Mitglieder ermöglichen sie Investitionen und Neugründungen und bieten ein professionelles Angebot an Finanzprodukten und -dienstleistungen für Genossenschaften, Privatpersonen und andere Mitglieder bzw. Kunden an.
In vielen Projektregionen auf dem afrikanischen Kontinent hingegen, sind Genossenschaftssysteme noch schwach entwickelt und vergleichsweise jung. Zum Beispiel im südlichen Afrika: Zwar hat auch hier das gemeinschaftliche Arbeiten und Wirtschaften eine lange Tradition und die Werte und Prinzipien der gesellschaftlich tief verwurzelten „Ubuntu“-Kultur werden zusammengefasst in der Redewendung „Ich bin, weil wir sind“. Die Nähe zu den Werten Raiffeisens‘ und den Worten „Was einer alleine nicht schafft, das schaffen viele“ sind dabei unverkennbar. Die formelle Organisation in der Rechtsform der Genossenschaft als Unternehmensform, wie wir es in Deutschland kennen, ist jedoch eine relativ neue Idee. In einem solchen Kontext übernehmen genossenschaftliche Finanzsysteme daher oft primär die Aufgabe, Privatpersonen als Mitgliedern den Zugang zu finanziellen Dienstleistungen und Produkten zu ermöglichen. Jedoch stellt das bereits einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der Mitglieder dar.
Die Unterstützung bei Aufbau und Entwicklung genossenschaftlicher Finanzsektoren als wichtiger Pfeiler der Förderung wirtschaftlicher Teilhabe, Armuts- und Ungleichheitsbekämpfung sowie stabiler und wachsender Genossenschaftssysteme kommt daher bei praktisch allen Projekten ein spezielles Augenmerk zu. Dabei geht es um weit mehr als wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Genossenschaftsbanken und andere Finanzgenossenschaften haben ihre wohl größte Wirkung als Wegbereiterinnen für nachhaltige Verbesserung der sozialen Situation.
Der DGRV arbeitet mit den Spar- und Kreditgenossenschaften daher auf vielfältige Weise zusammen: Im südlichen Afrika unterstützen wir beispielsweise die staatlichen Behörden bei der Erstellung und Überarbeitung förderrechtlicher Rahmenbedingungen für SACCOs oder begleiten ausgewählte Referenzgenossenschaften in der Region beim Gründungsprozess, der Umsetzung genossenschaftlicher Prinzipien und erster Geschäftstätigkeiten.
Grundsätzlich fokussiert sich die Projektarbeit auf die Stärkung genossenschaftlicher Strukturen, dementsprechend stärken wir auch hier Zusammenschlüsse von SACCOs auf provinzieller und nationaler Ebene. So stärken wir diese Zusammenschlüsse in ihren Kapazitäten, eigenständig die Primärgenossenschaften – das einzelne SACCO – zu unterstützen. Auch hier liegt der Schwerpunkt auf genossenschaftlichen Prinzipien, Organisationsentwicklung und Good Governance. Zusätzlich ist die Begleitung bei der Bereitstellung von nachfrageorientierten Produkten und Dienstleistungen ein Schwerpunkt, da nur so eine nachhaltige und unabhängige Verbandsstruktur gesichert werden kann.
Neben Bildungsinhalten liegt der Schwerpunkt dabei auf der Unterstützung des nationalen Dachverbandes der Spar- und Kreditgenossenschaften in eSwatini, ESASCCO, bei der Bereitstellung des Kernbankensystems MAMBU für SACCOs in eSwatini, Südafrika und Lesotho. Ziel ist dabei auch die aktive Digitalisierung des Sektors. Die erfolgreiche Zusammenarbeit hat beispielsweise dazu geführt, dass mittlerweile über 20.000 SACCO-Mitglieder in der Region ein hochmodernes Kernbankensystem nutzen und dadurch unter Anderem per SMS-Kredite beantragen und ausgezahlt bekommen können. Aber mehr dazu im zweiten Teil dieser Reihe.
Das Beispiel von ESASCCO zeigt eindrucksvoll, wie der Zusammenschluss vieler kleiner Genossenschaften, auch über Landesgrenzen hinweg, den Zugang zu Systemen und Produkten ermöglicht, die für die einzelne Genossenschaft schlicht unbezahlbar wäre. Dadurch, dass die Lösung „von Genossenschaften für Genossenschaften“ bereitgestellt wird, ist nicht nur das System, sondern auch die zugehörigen Entwicklungen und Schulungsunterlagen passgenau auf die einzelnen Spar- und Kreditgenossenschaften abgestimmt.
Während die SACCOs im südlichen Afrika für ihre Mitglieder viel bewegen und sprichwörtliche Berge versetzen, steht noch viel Arbeit bei der Vernetzung mit dem übrigen Genossenschaftssektor an: Erst wenn SACCOs regelmäßig die Genossenschaften und Kleinstunternehmer vor Ort finanzieren, ist der genossenschaftliche Wirtschaftskreislauf komplett. Hier setzt die Unterstützung der Verbände sowie die Einbindung weiterer digitaler Technologien in Zukunft an. Wie diese Zukunft aussehen könnte, verrät dabei ein Blick nach Lateinamerika, wo der DGRV seit nunmehr zwei Jahrzehnten aktiv den Aufbau genossenschaftlicher Finanzsektoren sowie deren Digitalisierung unterstützt. Im Ergebnis stehen dort gewachsene und stabile Verbandsstrukturen die, unterstützt vom DGRV, die Genossenschaften bei Themen wie Strategieplanung und -implementierung, aber auch bei der Vergabe „grüner“ Kredite unterstützen und für Vieles davon umfassende digitale Lösungen anbieten. Hier soll der aktive Wissenstransfer Süd-Süd dazu beitragen, diese wichtigen Themen auch im südlichen Afrika voranzutreiben.
Zu guter Letzt gehört die Zukunft der Jugend. Essentiell sind daher unsere Projektaktivitäten zur Förderung von Jugendgenossenschaften und der Einbindung von jungen Menschen in bestehende Spar- und Kreditgenossenschaften. Hier hat der DGRV durch das „Globalvorhaben Jugend“ entscheidende Grundlagenarbeit geleistet, auf die es in den kommenden Jahren konsequent aufzubauen gilt. Spannend wird sein zu sehen, inwiefern Deutschland hier vom südlichen Afrika lernen kann – den tatsächlich ist uns die Herausforderung einer alternden Mitgliedschaft in den Genossenschaften auf beiden Seiten des Globus bekannt.
Gemeinsam Perspektiven für eine nachhaltige Zukunft entwickeln
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Social Banking mit SACCOs
Mitarbeiterinnen in der Verwaltung eines SACCOs.
Das Konzept des „Social Banking ist in Deutschland wohl am ehesten von den Nachhaltigkeits- und Sozialbanken vertraut. Es verfolgt – stark verkürzt ausgedrückt – den Ansatz, den sozialen und ökologischen Folgen des Handelns ein mindestens ebenso großes Gewicht einzuräumen wie den wirtschaftlichen Folgen. Diesen Ansatz verfolgen auch die Spar- und Kreditgenossenschaften in Afrika und leisten so einen wichtigen Beitrag zur finanziellen Inklusion. Gerade in ländlichen Regionen mangelt es häufig an entsprechender Infrastruktur: Oft gibt es schlicht keine Bankniederlassung in erreichbarer Nähe. So ist der einzige Zugang zu Krediten häufig ein privater Geldverleiher, jedoch sind die Zinsen hier sehr hoch und einen Verbraucherschutz sucht man vergeblich. Dort, wo Banken vertreten sind, sind Gebühren und Zinsen oft so hoch, dass der Zugang zu Konten und Krediten für viele verschlossen oder stark erschwert bleibt.
Zudem sehen sich in vielen Ländern Afrikas insbesondere Angehörige historisch benachteiligter – also unter Kolonialherrschaft unterdrückter – Gruppen noch immer mit vielen Hürden konfrontiert, wenn es um den Zugang zu Finanzdienstleistungen geht. Hier können die in Afrika als SACCOs bekannten Spar- und Kreditgenossenschaften Abhilfe schaffen. Hierbei handelt es sich um eingetragene Genossenschaften mit entsprechenden Satzungen und Organen, die auch der nationalen Finanzaufsicht unterstehen. Mitglieder können hier nicht nur verschiedene Sparkonten anlegen, auch auf der Darlehensseite gibt es vom „Emergency Loan“ für die Überbrückung eines Engpasses über ein paar Monate, je nach Größe des SACCOs, teilweise bis zur Immobilienfinanzierung über mehrere Jahre ein großes Produktportfolio, dass immer nah an den Bedürfnissen der Mitglieder orientiert ist.
Eine Mitarbeiterin eines SACCOs, stellt bei einer gemeinsamen Veranstaltung von National Co-operatives Federation of Eswatini und DGRV ihre Ideen vor.
Stellen wir uns beispielsweise vor, wir seien ein junger Mensch in eSwatini, einem kleinen Königreich im Osten Südafrikas. Wie in vielen Ländern in der Region ist die Jugendarbeitslosigkeit mit über 50 Prozent hoch, doch wir haben Glück und gehen einer geregelten Arbeit auf einer Farm nach. Zwar verdienen wir dort nicht viel, es reicht jedoch um den Lebensunterhalt gerade so zu bestreiten. Allerdings haben wir keinen Arbeitsvertrag und bekommen unser Gehalt am Ende jeder Woche bar ausgezahlt, was nicht unüblich ist. Wir haben neben unserem Broterwerbsjob noch eine Leidenschaft und auch Talent und stellen Handtaschen her. Das sehen auch andere so und würden die Taschen gerne kaufen, wir hätten also gute Voraussetzungen, um uns mit den Handtaschen einen kleinen Nebenerwerb auszubauen. Dafür bräuchten wir für den Anfang ein überschaubares Startkapital: umgerechnet 1.000 Euro. Bei einer normalen Bank brauchen wir es nicht zu versuchen, denn als Landarbeiter:in kommen wir aus einer Gesellschaftsschicht, die es generell schwer hat, als Kund:in angenommen zu werden, da wir keinen Arbeitsvertrag haben und vielleicht auch keine feste Meldeadresse, weil wir ein paar Monate bei unserer Tante wohnen und, wenn die Saison vorbei ist, wieder bei den Eltern in einem anderen Landesteil. Selbst wenn uns die Bank als Kund:in akzeptieren würde, sind die monatlichen Kontoführungsgebühren, die sich oft auf europäischem Niveau bewegen, viel zu hoch für uns. Wir haben kein Konto und damit auch keinen Bonitätsnachweis oder Ähnliches. Was können wir tun? Wir werden Mitglied bei einem SACCO. Dafür erwerben wir für 50 Euro Mitgliedsanteile und sparen monatlich einen überschaubaren Betrag von 25 Euro an. Nach einer Mindestzeit der Mitgliedschaft steht uns dann der Weg zu einem Darlehen offen, welches das zwei- bis dreifache unserer Sparsumme betragen kann. Dabei dienen unsere Ersparnisse dem SACCO als Sicherheit für das Darlehen.
SACCO-Gründungsmitglieder im Eastern Cape, Südafrika
So bieten SACCOs ihren Mitgliedern, aber auch den Gemeinschaften, in denen sie verortet sind, eine ganze Reihe an Vorteilen: Neben dem bloßen Zugang zu Finanzdienstleistungen und Kreditmitteln sind diese regelmäßig auch deutlich günstiger als die Alternativen bei kommerziellen Banken – das SACCO muss schließlich nicht den eigenen Gewinn, sondern den Mehrwert für die Mitglieder maximieren. Auch die Angebote zu zumindest rudimentärer finanzieller Bildung, die die SACCOs ihren Mitgliedern, mit Blick auf genossenschaftlichen Prinzipien wie Selbsthilfe und Selbstverwaltung, Bildung, Training und Information bereitstellen, stellen einen wichtigen Mehrwert dar. Dabei handeln die SACCOs auch aus Eigeninteresse: Finanziell gebildete Mitglieder zahlen ihre Kredite öfter zurück. Nebenbei schafft man es so, die auch im südlichen Afrika teuren Fachkräfte zu rekrutieren. Durch das Selbstverständnis als Teil der (oft Dorf-) Gemeinschaft neigen SACCOs eher dazu, Kredite an Kleinstunternehmen der Gemeinschaft zu vergeben – auch „weil man sich kennt“ – und stärken so lokale Wirtschaftskreisläufe.
Auch die Dividende, ist für die Menschen, die sonst kaum Möglichkeiten zur Anlage in Unternehmenswerte haben, ein nicht unerhebliches Argument für die Mitgliedschaft. Dass dabei die Geschicke der Genossenschaft in Generalversammlungen, zu denen häufig mehr als 50 % (teilweise ist die Anwesenheit Pflicht) der Mitglieder erscheinen, basisdemokratisch bestimmt werden, ist ein gesellschaftlicher Mehrwert, der sich schwer beziffern lässt. Ganz besonders dann, wenn man sich vor Augen führt, wie viel (oder wenig) Demokratie die Mitglieder in ihrem Leben sonst erleben.