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Energiegenossenschaften


Ein Beitrag von Benjamin Dannemann, Referent für Kommunikation, Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim DGRV


Damit Deutschland die Klimaziele noch erreichen kann, muss der Ausbau der erneuerbaren Energien schneller erfolgen. Insoweit besteht ein gesellschaftlicher und politischer Konsens. Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 24. März 2021 das 2019 verabschiedete Klimaschutzgesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt hat, wurde im neuen Klimaschutzgesetz vom 25. Juni 2021 das Reduktionsziel klimaschädlicher Treibhausgase bis 2030 von 55 Prozent auf 65  Prozent angehoben. Weitere Ziele hat Deutschland insbesondere im Hinblick auf den Anteil erneuerbarer Energien am Stromsektor definiert. 65 Prozent des Stroms sollen bis 2030 aus erneuerbaren Quellen stammen.

Wie hoch die Strommenge angesichts des steigenden Verbrauchs durch eine zunehmende Elektrifizierung des Autoverkehrs und der Wärmeversorgung sein muss, ist umstritten. Bei der Rolle, die Energiegenossenschaften bei der verstärkten Energiewende einnehmen sollen, herrscht indes weniger Dissens. Um die Energiewende im Sinne des Klimaschutzes zu beschleunigen, werden mehr Energieprojekte und Infrastruktur notwendig. Immer mehr Menschen werden etwa mit Windenergieanlagen konfrontiert werden und in neue Infrastruktur investieren müssen. Maßnahmen zur Schaffung von Akzeptanz sind zentral. Die Beteiligung der Menschen vor Ort an der Planung, aber auch am wirtschaftlichen Betrieb der Energieprojekte, ist eine entscheidende Akzeptanzmaßnahme.

Im Dialog mit der Energiepolitik


Welchen Blick die Bundespolitik auf die Rolle der Energiegenossenschaften hat, konnten die mehr als 400 Zuschauer des GenossenschaftsDialogs aus erster Hand erfahren. Bei der Veranstaltungsreihe, welche die Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften zusammen mit den regionalen Genossenschaftsverbänden im Vorfeld der Bundestagswahl organisiert hat, standen Kandidaten von CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fragen der Zuschauenden digital Rede und Antwort. Zu den Teilnehmern der insgesamt sieben Dialoge gehörten u.a. alle energiepolitischen Sprecher der genannten Parteien sowie die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium Rita Schwarzelühr-Sutter, MdB (SPD) und der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Thomas Bareiß, MdB (CDU).

Trotz unterschiedlicher Positionen machten alle Teilnehmer deutlich, dass Energiegenossenschaften zukünftig eine wichtige Rolle einnehmen werden. So äußerte sich etwa auch der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Bareiß, der die „Akzeptanz der Menschen vor Ort“ als notwendige Voraussetzung für „höhere Ausbauziele für Erneuerbare“ sieht. Die Parlamentarische Staatsekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter forderte eine „direkte Beteiligung über Energiegenossenschaften“, die über eine „planerische Beteiligung“ hinausgehen müsse. Ähnlich äußerte sich Carsten Müller (CDU), der sich zudem für eine Vereinfachung bei der „Planung und Umsetzung von Energieprojekten“ einsetzen möchte.

Rahmenbedingungen verunsichern


Doch die große Bedeutung, die den Energiegenossenschaften in der Bundespolitik eingeräumt wird, deckt sich nicht mit der Wahrnehmung der Akteure vor Ort. Die Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen in den letzten Jahren haben die Energiegenossenschaften zunehmend verunsichert. Die Jahresumfrage der Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften zeigt ein klares Bild: 34 Prozent der 835 Energiegenossenschaften in Deutschland planen 2021 keine neuen Projekte mehr. Die Verunsicherung wird insbesondere im Hauptbetätigungsfeld Solarstromerzeugung deutlich. Im Vorjahr planten noch 54 Prozent Projekte in diesem Bereich, aktuell sind es nur noch 38 Prozent. 2018 waren es sogar noch 72 Prozent. Diese Negativentwicklung beim Solarstrom hat einen großen Einfluss auf die gesamte Geschäftstätigkeit der Energiegenossenschaften.

Etwa 80 Prozent der Energiegenossenschaften betreiben Solarstromanlagen. Die Investitionskosten sind vergleichsweise niedrig und das Finan-zierungsrisiko ist aufgrund der festgelegten Vergütung über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sowie der Marktprämie gut zu handhaben. In den letzten Jahren hat allerdings die Ausweitung von Ausschreibungen zur Förderung erneuerbarer Energien das Engagement zurückgedrängt. Dies stellte auch Dr.  Sandra Detzer, Landesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Baden-Württemberg, beim GenossenschaftsDialog fest. Energiegenossenschaften müssten „gefördert werden“, etwa „durch Ausnahmen bei Ausschreibungen“. Doch auch in der letzten Novellierung des EEG wurden die Handlungsspielräume für kleine und mittlere Marktakteure kleiner (s. hierzu Artikel „Energiepolitik verschattet Bürgerstrom“).

Neustart in Berlin


Da die Bundespolitik in den letzten Jahren also zu einer Verunsicherung und einem Rückgang der Geschäftstätigkeit von Energiegenossenschaften geführt hat, sind die Erwartungen an die neue Bundesregierung entsprechend groß. Eine erste Orientierung, in welche Richtung die zukünftige Bundespolitik gehen wird, konnte der GenossenschaftsDialog geben. So wurde klar, dass sich alle Parteien für einen verstärkten Ausbau der Erneuerbaren Energien stark machen wollen. Dr. Anja Weisgerber (CSU) versprach den Zubau von Solarstromanlagen in der Größenordnung von „10 Gigawatt im Jahr“ und geht von einem großen Bedarf von Strom für „Sektorkopplung und Wasserstoff“ aus.

Eine Abkehr von reinen Ausschreibungsmodellen betonte Johann Saathoff, Mitglied des Ausschusses für Wirtschaft und Energie und energiepolitischer Koordinator der SPD-Bundestagsfraktion, auf dem GenossenschaftsDialog. Er sieht Ausschreibungen nicht als Instrument „um mehr Markt einzuführen“, sondern „um die Ausbaumenge zu steuern“. Damit stünden Ausschreibungen klar gegen einen möglichst schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien und damit gegen ein möglichst schnelles Erreichen der Klimaziele. Energiegenossenschaften sollen auch in Zukunft die Energiewende mitgestalten können, so Saathoff.

Rücken- und Gegenwind aus Brüssel


Ein wesentlicher Treiber bei der Einführung der Ausschreibungen war und ist die Europäische Union. Doch mit der Erneuerbare-Energien-Richtlinie hat die EU eine alternative Vermarktungsmöglichkeit vorgegeben: das Energy Sharing, also das gemeinschaftliche Erzeugen, Verteilen und Verbrauchen von Energie. Die vorgesehene Übertragung in nationales Recht in diesem Sommer, wie es von der EU vorgesehen war, ist aber nicht erfolgt. Diese Umsetzung wird nun in die Verantwortung der neuen Bundesregierung fallen. Der Wille war schon im Vorfeld der Bundestagswahlen zu spüren. Bernd Westphal (SPD) betonte sein Vorhaben, den „gemeinschaftlichen und regionalen Eigenverbrauch zu ermöglichen“. Auch Prof. Dr. Martin Neumann (FDP) sprach sich für eine „dezentrale Nutzung des Stroms zusammen mit den Menschen“ und gegen „nationale Alleingänge“ aus.

Es gibt aber nicht nur Rückenwind aus Brüssel. Die bisher möglichen De-Minimis-Regelungen werden durch die vorgeschlagene Absenkung der Ausschreibungsgrenzen auch bei Solarstromanlagen zur Diskussion gestellt. Damit könnten die im EEG 2021 vorgeschlagenen Absenkungen bestätigt werden. Dr. Julia Verlinden (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) versprach beim GenossenschaftsDialog, sich für die De-Minimis-Regelungen einzusetzen. Als Übergangsmodell stellte sie einen „Bürgerinnenenergiewende-Fonds“ in Aussicht, der „die Kosten und Risiken bei Ausschreibungen“ abfedern soll.

Fazit


Der Austausch mit der Bundespolitik hat gezeigt, dass die neue Bundesregierung vor großen Herausforderungen steht, um die Klimaziele zu erreichen und dabei alle Akteure mitzunehmen. Gerade die kleineren und mittleren Akteure benötigen verbesserte Rahmenbedingungen, um weiterhin aktiv zu sein. Im direkten Gespräch im Vorfeld der Bundestagswahl gibt es von allen Parteien Signale für eine Verbesserung und mehr Spielraum auch für Energiegenossenschaften. Die neue Bundesregierung wird diese Zusagen auch in politisches Handeln umzusetzen haben.

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